Freiheit. Roman.
Jonathan Franzen, Rowohlt 2010


Freiheit

Seltsam unbefriedigend

Franzen erzählt eine Liebesgeschichte, eingebettet in mehrere Familiensagas, darüber hinaus spielen Umweltschutz, der Irakkrieg und viele andere Themen ihre Rollen.

Patty, die von ihren politisch ambitionierten, liberalen Eltern etwas vernachlässigte, gut aussehende Basketballspielerin, verliebt sich in Richard Katz, den Lebemann und Rockmusiker, der aber weniger von ihr will als sie von ihm. Also wählt sie die zweitbeste Lösung, nämlich Richards besten Freund Walter, ein engagierter und feingeistiger Gutmensch, dem der Schutz des Planeten - und insbesondere dessen Singvogelbestand - wichtiger ist als fast alles andere, von Patty abgesehen, die er anbetet. Die beiden führen eine Ehe, die wie alle Ehen Hochs und Tiefs bewältigen muss und aus der Jessica, praktisch Pattys Ebenbild, und Joey, ein zunächst selbstsüchtiger, erfolgsorientierter Egozentriker, der sich im Verlauf aber stark wandelt, hervorgehen. Irgendwann allerdings wird der Punkt erreicht, an dem die seinerzeit unmöglichen Alternativen über mehr Reiz zu verfügen scheinen als das kompromissreiche, zuweilen sogar schmerzhafte Leben miteinander.

Patty, die während ihrer Highschoolzeit vergewaltigt wurde, der aber in dieser extremen Situation der Rückhalt durch die Eltern versagt blieb, sieht sich fortwährend in Konkurrenz zu allen anderen, vor allem aber zu sich selbst - sie ist niemals wirklich zufrieden. Sie hadert mit der Entscheidung für den vermeintlich falschen Mann, obwohl Walter liebe- und fast schon pathologisch verständnisvoll ist. Auch Katz, der Musiker und jahrzehntelang Walters bester Freund, kommt nie darüber hinweg, diese Option verpasst zu haben.

Nach der Lektüre der fraglos unglaublich stilsicher, intelligent und detailliert verfassten 730 Seiten bleibt ein merkwürdig unbefriedigtes Gefühl. Franzen erzählt präzise, facettenreich, glaubwürdig und nicht selten wunderschön, aber die über allem stehende Frage, wovon er erzählt, lässt sich nur schwer beantworten. Die vielen Themen, die angerissen oder auch vertieft werden, etwa Joeys Verstrickungen in den Irakkrieg, seine Ehe mit der Nachbarstochter Connie, Walters Anbiederung an die Militärindustrie, Katz' Musikerkarriere, das als Motiv und Schauplatz immer wieder auftauchende Ferienhaus am See, die familiären Merkwürdigkeiten auf Pattys Seite, Überbevölkerung, Fundraising, anarchistische Politfans, wildernde Hauskatzen, Kohleförderung durch Gipfelabbau, Alkoholismus, Kindererziehung, Zersiedelung und so weiter und so fort - nur wenig davon erreicht eine Tiefe, die das oft recht Plakative der Ausführungen begründen würde. Als pure Würze auf der tragischen, manchmal auch komischen Familien- und Liebesgeschichte ist all das überdosiert, davon abgesehen auch zu bedeutungsvoll, aber am Ende bleibt das etwas fade Gefühl, mit vielen Elementen nur konfrontiert worden zu sein, weil sie Beiwerk zu einer zwar enorm weitreichenden, dennoch merkwürdig konstruierten Figurenzeichnung waren.

"Freiheit" mag ein Sittenbild der neunziger Jahre und des beginnenden neuen Jahrtausends sein, ein Buch über die Dranghaftigkeit und Selbstbezogenheit der amerikanischen Gesellschaft, eine Anklage gegen den Raubbau, die Umwelt- und damit Weltzerstörung, aber in der Hauptsache ist es die Geschichte von Patty und Walter, die der Leser auf durchaus intensive Weise miterlebt. Das hat seine sehr eigene Schönheit, verfügt über viel Nähe und Plastizität, gleichwohl kommt echte Empathie nicht so recht auf, was auch an der niederdrückenden, ungebremsten Sprachgewalt des Autors liegen mag, in der Hauptsache aber wohl daran, dass die Figuren bei allem Detailreichtum das Holzschnittartige niemals abzustreifen in der Lage sind.

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Übersicht: Tom Liehr

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