Filmriß. Roman.
William Kotzwinkle, Rowohlt 1997, TB



Der Autor von "Fan Man", einer kurzen, aber lachtränentreibenden Hippie-Story, der ebenso amüsanten Satiren "Mitternachtspost" und "Ein Bär will nach oben" (sowie "Das Pharaonenspiel", "Dr. Ratte" und, natürlich, des Drehbuches zu "E.T."), zeigt mit "Filmriß", einem eher unspektakulären Buch, daß es Autoren gibt, die wandlungsfähig sind und "ihr Genre" und "ihren Stil" nicht über- und ausreizen, sondern sich durchaus in anderen Kategorien bewegen können.

David Caspian ist ein Hollywood-Schauspieler "in den besten Jahren", und das heißt: Zwar auf dem Gipfel seiner Laufbahn, doch kurz vor dem Karriereknick, der ihm sehr bald nur noch gesetzte Papa- und nicht viel später Opa-Rollen verschaffen wird. Ausgestattet mit einer zynischen Ehefrau, einem pädophilen Schauspielerfreund und einem archetypischen Agenten, nimmt Caspian die Situation wohl wahr, wird vom Agenten überredet, das monumentale Weltraumspektakel "Star Rover" zu drehen, während er sich zeitgleich mit einer seltsamen Art von Persönlichkeitsspaltung konfrontiert sieht: Phasenweise gleitet Caspian in die Person des Schwarzmarktgauners Felix Falkenhayn, der im Deutschen Reich gegen Ende des zweiten Weltkrieges sein Auskommen sucht; eine dunkle, glatte Figur, egoistisch, skrupellos und gewalttätig, dazu bereit, die Machtstrukturen der Nazis für sich zu nutzen. Immer häufiger wechselt Caspian - ungewollt - fortan sein Ich mit der existenten Figur Falkenhayn, die ihrerseits Eindrücke und Wahrnehmungen Caspians verarbeiten muß.

Das Auftauchen der blassen Kopie einer Tätowierung Falkenhayns auf dem Arm des Schauspielers während einer Analysesitzung vermittelt einen Eindruck von der Realität des Geschehens. Während Caspian sich mehr und mehr verliert, sein Kontakt zur Jetztzeit teilweise völlig abbricht (vor allem während der Filmaufnahmen, bei denen er - abwesend - die Leistung seines Lebens liefert), drängt die Figur Felix Falkenhayns mehr und mehr in den Vordergrund, bis zur schlußendlich völligen Vertauschung der Persönlichkeiten: Caspian wird von den Nazis hingerichtet, während Falkenhayn den Erfolg der Dreharbeiten genießen kann.

Nicht immer schlüssig, auf die eine oder andere notwendige Erklärung verzichtend, zeichnet Kotzwinkle vor allem ein authentisch wirkendes, geschichtlich fein recherchiertes, dichtes Bild der klassischen Widersacher, deren gegenseitige Durchdringung den angedeuteten Konflikt auf originelle Weise auflöst, wenn auch etwas unbefriedigend für den Leser, denn die Frage nach dem "Warum" wird nur andeutungsweise beantwortet. Sprachlich und stilistisch ist "Filmriß" kaum mit den satirischen Werken des Autors vergleichbar, obwohl der Klappentext - aus Marketinggründen - eben diesen Eindruck vermitteln will. Viel zum Lachen gibt es bei "Filmriß" nicht, aber es ist ein schönes Buch, sehr gut geschrieben - und faszinierend, weil es zwei völlig konträr erscheinende (!) Welten, Nazi-Deutschland und Hollywood, auf eindringliche Weise verbindet.

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