Ein Feuer auf der Tiefe. Roman.
Vernor Vinge, Heyne 2007


Ein Feuer auf der Tiefe

Beeindruckend, bahnbrechend

In einer fernen Zukunft: Man hat festgestellt, dass sich die Galaxis in "Zonen des Denkens" aufteilt, beginnend bei einem langsamen Bereich, in dem sich auch die legendäre "Alte Erde" befindet und in dem z.B. Raumfahrt nur mit Unterlichtgeschwindigkeit möglich und Rechenkapazität begrenzt ist, und (über mehrere Zwischenstufen hinweg) endend im "Transzens", in dem "Mächte" wirken, unfassbar komplexe und fast gottgleiche KI-Geschöpfe; zugleich kann man dort mit einem Vielfachen der Lichtgeschwindigkeit reisen. Irgendwo in diesem Bereich stößt eine Forschungsdelegation der "Straumli", einer Menschenkolonie, auf ein altes Archiv, eine gewaltige Datenbank, deren Wiederinbetriebnahme eine bösartige Macht freisetzt, die alsbald Angriffe auf die gesamte bewohnte Galaxis startet - und die, zur Überraschung aller, auch die Zonengrenzen überwinden kann.

Von dieser Forschungsstation kann sich ein Raumschiff in allerletzter Minute retten, aber auf der erdähnlichen Welt irgendwo im "Langsam" landen doch nur zwei Kinder - die, ohne es zu wissen, vermutlich im Besitz eines Mittels gegen die bösartige Macht sind. Der bisher unbekannte Planet, auf dem sie stranden, wird von hundeähnlichen Wesen bevölkert, die in einer mittelalterlichen Kultur leben und die Schiffsbesatzung folgerichtig sofort angreifen. Diese "Klauenwesen" verfügen über eine Art kollektiver Intelligenz - nur in Rudeln von drei bis maximal acht Einheiten werden sie zu denkfähigen "Personen". Zwei Fraktionen bekriegen sich im Norden des Planeten, die "Flenser" und das Volk der "Holzschnitzerin". Beide Fraktionen nehmen jeweils eines der Kinder als Geisel, ohne dass die beiden ahnen, dass das Geschwister überlebt hat. Johanna, die ältere, ist im Besitz eines "Datio", einer hochleistungsfähigen Handdatenbank, während Jefri, der kleine Bruder, wenigstens noch die Kommunikation des Schiffswracks bedienen kann. Auf diese Art erfahren beide Fraktionen nach und nach davon, dass es draußen technisierte Welten gibt, und sie versuchen, dieser Technik - vor allem der Waffentechnik - habhaft zu werden, um im Krieg gegen die andere Gruppe zu bestehen.

Der unglaublich komplexe, hochintelligente und schlichtweg beeindruckend erzählte Romane berichtet auf mehreren, miteinander verwobenen Handlungsebenen einerseits davon, wie sich grundverschiedene Kulturen annähern. Dabei geht es um Technik und ihren Missbrauch, um Evolution, Macht, Verrat und große Gefühle. Der Leser bleibt hierbei auf Augenhöhe, lernt also mit den Protagonisten, was es anfangs nicht leicht macht, etwa die Rudelwesen und ihre Handlungsweise zu verstehen. Dieser Aufprall der Arten nimmt den Hauptteil des Buches ein und ist einfach großartig. Aber es gibt auch noch die ebenfalls mitreißende Geschichte der Rettungsmission, die sich auf Initiative einer Menschenfrau - und bald gejagt von der halben Galaxis - auf der Suche nach dem verschollenen Raumschiff der Kinder befindet, und es gibt den omnipräsenten Meinungenschwall aus dem galaxisumspannenden "Netz", quasi dem Mega-Meta-Internet, das Vinge als "Netz der Millionen Lügen" bezeichnet.

Das Buch hat inzwischen fast zwanzig Jahre auf dem Buckel und gehört zu den Klassikern der "Space Opera". Der Autor hat zwar bereits beim Schreiben antizipiert (wie er im Nachwort ausführt), dass es technische Entwicklungen geben wird, die seine Skizzen als Anachronismen entlarven werden, aber dieser Anteil ist so klein, dass er vernachlässigt werden kann - und er würde kaum bemerkt werden, hätte Vinge darauf verzichtet, etwa an einzelnen Stellen Übertragungsbandbreiten in Kilobit pro Sekunde anzugeben.
Neben der unglaublich spannenden und sehr komplexen Erzählung selbst gelingt es dem Autor vor allem, den Sinn für die Begrenztheit des eigenen Denkens zu schärfen. Menschen aller Zeiten neigen und neigten dazu, den eigenen Kenntnisstand als Maß aller Dinge zu betrachten, heutzutage mehr als früher, und gegebene Modelle als der Weisheit letzten Schluss anzunehmen. Vinge benötigt nur ein paar Absätze, um aufzuzeigen, dass der Teller, über dessen Rand wir zu schauen versuchen, letztlich einen kosmischen Radius hat. Außerdem kritisiert das Buch die vermeintliche Meinungsdemokratie des Internets, die im Roman unter anderem zum organisierten Völkermord führt, weil man die menschliche Rasse als Verursacher der tödlichen Bedrohung ausgemacht zu haben glaubt.

"Ein Feuer auf der Tiefe" ist zeitlos, und es ist zugleich ein historischer und utopischer Roman von epochaler Wucht. Einziger Makel: Die bei Heyne publizierte Taschenbuchausgabe ist in so kleiner Schrift gedruckt, dass die Lektüre selbst Menschen mit sehr guten Augen schnell ermüden dürfte.

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