Das ewige Leben.
Roman.
Wolf Haas, Hoffmann und Campe 2003


Befreiungsschlag

Vor drei, dreieinhalb Jahren mußte man nach Romanen des österreichischen Autors noch suchen, selbst in größeren Buchhandlungen. Ungefähr mit dem Deutschen Krimipreis für das ganz wunderbare "Komm, süßer Tod" setzte der Hype ein. Die Figur Simon Brenner und die eigenartige, einzigartige Erzählweise der Romane um den ruppigen, eigenbrötlerischen, etwas tranigen Detektiv wurde zum Seller, die beiden Romane "Wie die Tiere" und jetzt "Das ewige Leben" erschienen folgerichtig als Hardcover, eine spröde und etwas hilflose Verfilmung von "Komm süßer Tod" mit dem zweifellos komischen, aber hoffnungslos fehlbesetzten Josef Hader in der Hauptrolle markierte den vorläufigen Höhepunkt des Erfolgs.

Anfangs hat man den Büchern noch den Spaß angemerkt, den Haas dabei hatte, mit dem Leser zu plaudern, eine unbekannte, aber omnipräsente Erzählerfigur in ganz eigener Diktion mal hinter, mal vor dem Protagonisten ... schlurfen zu lassen, während dieser Melodien hört, die ihm nicht aus dem Kopf gehen und die schlußendlich zu irgendwas führen, während er seine etwas hilflosen Annäherungsversuche unternimmt, Migräne hat und Geistesblitze, die so langsam vom mentalen Himmel zucken, daß man ihnen dabei zusehen kann. Brenner blieb dabei diffus, wie eingekapselt, nicht wirklich lakonisch, träge, und nur in Grenzen liebenswert. Es war eher der Erzähler, der fröhlich-duzende Plaudertyp, der sich über eingestreute Nebensätze wie "Aber dings." und ähnliche bemerkbar machte, den Brenner reflektierte, so daß man eigentlich ein Duo beobachtete, davon einen, der einen anderen beobachtet. Das war der Reiz dieser kleinen Reihe, gleichzeitig war es ihr Korsett. Dabei schliff sich das Vergnügen an der Originalität rasch, denn wirklich Neues konnte Haas in diesem Konstrukt nicht mehr liefern, ohne es zu zerstören, außer Handlung - von Anfang an keine Stärke der Brenner-Romane. Fakten, bedeutsame Entwicklungen und Entdeckungen folgten häufig einer seitenlangen Plauderei über Befindlichkeiten und allgemein Menschliches, meist sogar in irgendeinem Halbsatz. Diese Wichtung war gut und richtig, davon abgesehen der Hauptanreiz dafür, die Bücher zu lesen.

"Das ewige Leben" besitzt Simon Brenner auf jeden Fall, denn er ist eine Romanfigur, eine, die in diesem Buch aus dem Koma erwacht, scheinbar nach einem Selbstmordversuch, vielleicht aber doch nicht: Der Grazer Polizei-Obermotz Aschenbrenner hat versucht, ihn zu erschießen, wie Brenner zu erinnern meint, Aschenbrenner, nomen est omen, mit dem er die Polizeischule besucht hat, gemeinsam mit zwei anderen, einer davon lange tot, gestorben bei einer Art Lausbubenstreich, den sich die Polizeischüler erlaubten. Der Streich, ein Banküberfall, ging in die Hose, weil einer durchdrehte, der Saaringer. Die verbliebenen drei deckten den Mantel des Schweigens über die Geschichte, aber als Polizei-Obermotz braucht man eine saubere Vergangenheit. Als Köck, der vierte im Bunde, auch erschossen wird, scheinen die Zusammenhänge glasklar. Aber dings: Da ist ja noch Soili, die bildhübsche Frau des Aschenbrenner.

Krimis im Chandler-Stil oder nach Wallander-Art gibt es zu hunderten, doch Haas hat sich mit seiner Definition enge Grenzen gesetzt, deren Einhaltung zwingend war und die gleichzeitig ein Höchstmaß an Originalität forderten, um noch zu funktionieren, was leider nicht mehr klappte, wenigstens in "Wie die Tiere", dem m.e. mit Abstand schwächsten Roman der Brenner-Reihe. Mit "Das ewige Leben" setzt der Autor zum Befreiuungsschlag an, beendet die Serie, und das wiederum auf sehr originelle, allerdings auch etwas befremdliche Weise, indem er den bis dato anonymen, irgendwo im Graubereich zwischen Autor und Protagonist verborgenen Erzähler real werden läßt - eine schicksalhafte Realwerdung. Die Inkonsequenz dieser Entwicklung stößt etwas unschön auf, wie auch das Gewirr der nicht sauber verwobenen Handlungsstränge, aber eine gewisse Befriedigung stellt sich trotzdem ein, vielleicht zu Teilen beseelt von dem Gedanken, jetzt keine Brenner-Romane mehr kaufen zu *müssen*. Bleibt die Hoffnung, daß Haas mit dem abgeschlossenen Siegeszug als Brenners geistiger Vater die Freiheit erlangt hat, sein sprachliches und erzählerisches Können auf neue Art zu kanalisieren, vielleicht mal eine, die seine Kreativität weniger einengt.

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