Alles ist erleuchtet. Roman.
Jonathan Safran Foer, Kiepenheuer & Witsch 2003



"Held" dieses Romans, wie er von seinem jungen Reiseführer Alex zunächst abschätzig, dann liebevoll genannt wird, ist der Autor selbst, Foer, amerikanischer Jude mit Wurzeln in der Ukraine. Die Suche nach diesen Wurzeln hat tatsächlich stattgefunden und wird in diesem Buch auf sehr eigenartige Weise literarisch aufbereitet.

In Begleitung von Alex, dessen Großvater und einem permanent furzenden Hund namens Sammy Davis jr. jr. begibt sich der "Held" auf eine Odyssee durch die Ukraine, seine stoppeligen Felder, die zementenen Städte, die verwaisten Dörfer, von denen die meisten im Zweiten Weltkrieg dem Erdboden gleichgemacht wurden.

Das Buch beschreibt in einem Handlungsstrang, den Alex erst in schwachem Englisch (in der Übersetzung natürlich in Deutsch), durchsetzt von vielen liebevollen Fehlern und falsch eingesetzten Idiomen, später stilsicherer und prägnanter erzählt, von der seltsamen Fahrt der drei, die erst wenig miteinander anfangen können und sich nach und nach schätzen lernen, ihren Begegnungen, den kleinen Widrigkeiten, mit denen in diesem etwas abseitigen Land während einer Zwischenzeit gerechnet werden muß. So nimmt ein überaus komischer Dialog mit einer Kellnerin, der leider - wie viele Stellen des Buches - ein wenig in den Slapstick abgleitet, fast zwei Seiten ein - niemand in der Ukraine begreift, was ein Vegetarier ist, und warum.

Der zweite Handlungsstrang erzählt aus "Heldensicht" die fiktive Geschichte des halbjüdischen "Schtetls" Trachimbrod, des Örtchens, der vermeintlich der Ursprung von Foers Familie ist. Diese überbordende, fast märchenhafte, leider aber auch oft
deutlich überzogene Historie bietet viele amüsante, herzliche, ergreifende und dramatische Episoden, präsentiert seine skurillen Bewohner und ihre "urjüdischen" Schrullen, hauptsächlich die schöne, von allen geliebte, aber zur Liebe unfähige Brod, die Wassergeborene, ein Findelkind, das aus der Strömung des Flusses (namens Brod) auftauchte, nachdem ein fahrender Händler (namens Trachim) mit Sack und Pack in selbigen gestürzt war. Die Historie des Örtchens bricht, als Brod stirbt, und wird zweihundert Jahre später, in den Vierzigern des vergangenen Jahrhunderts fortgesetzt, mit dem promisken Großvater des Helden, dem Angriff der Nazis, der Vernichtung aller Juden, ihrer Angst, ihrem gegenseitigen Verrat.

Dritter Handlungsstrang ist ein Briefwechsel zwischen Alex und seinem "Helden", wobei nur die Briefe des ukrainischen Reiseführers wiedergegeben werden, des jungen Mannes, der so gerne nach Amerika möchte, Geld liebt und schöne Frauen, "erstklassige" Nachtclubs und seinen Bruder, Klein-Igor, vor allem aber, in bewundernder Liebe, den "Helden".

Das Buch ist nicht leicht zu lesen, hat seine Längen, aber auch seine Tiefen, amüsiert häufig, verwirrt manchmal, liefert tiefe Einblicke, aber auch ausgewalzte Vorurteile, wirkt an vielen Stellen dicht, an vielen anderen lakonisch-distanziert, manchmal bemüht amüsant. Die Geschichte des "Schtetls" hat etwas von einem Provinztheater, die Geschichte des Großvaters trägt viele Elemente, deren Bedeutung sich nicht offenbart. Der Schluß ist dramatisch, ergreifend, fast erschlagend. Eine feine, überlegt konstruierte, unterhaltsame Lektüre, stilistisch von großer Eigenständigkeit, die nachdenklich stimmt, zum Lächeln und Seufzen bringt, aber das Versprechen des Titels nicht vollständig einlöst.

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