Der zweite Engel. Roman
Philip Kerr, Rowohlt 2001
Der Konstrukteur Dana Dallas baut Blutbanken - Hochsicherheitsgebäude, mit ausgeklügelten Schutzmechanismen, Labyrinthen und automatischen Wächtern. Der Job ist "heiß", extrem bedeutungsvoll, und gut bezahlt, denn Blut ist Ware nummer Eins im Jahr 2069. Dallas' Arbeitgeber "Terotechnology" zählt zu den hochrangigsten Konzernen in einer Welt, deren Bewohner zu 80% durch einen superagressiven Virus verseucht sind, dessen einzige Heilungsmöglichkeit wiederum darin besteht, mehrere Transfusionen durchzuführen.
Demgegenüber stellen die gesunden Menschen die Elite dar, abgeschottet lebend in geschützten Environments, während der Rest dahinvegetiert, auf den eigenen Tod wartet, und sich die teuren, raren unverseuchten Blutkonserven nicht leisten kann. Die "First National Blood Bank" gehört zu den sichersten Gebäuden überhaupt, auf dem Mond untergebracht, entworfen natürlich von Dallas - seitdem er den Job macht, hat es keine erfolgreichen Überfälle auf Blutbanken mehr gegeben.Der Konstrukteur wird zum Sicherheitsrisiko, als dessen Tochter erkrankt, und abzusehen ist, daß einzig regelmäßige Bluterneuerungen zu einer Linderung der Symptome führen, eine Therapie, die langfristig auch die Mittel des betuchten Dallas überschreiten wird. Sein Chef ordnet die Ermordung der Familie an, aber Dallas entkommt. Sein Racheplan sieht konsequenterweise
einen Überfall auf die "First National Blood Bank" vor.Was sich wie der Plot eines "ganz normalen" Science-Fiction-Thrillers anhört, ist weit mehr als das. Kerr philosophiert überaus unterhaltsam und sehr fundiert über Entwicklungsgeschichte, Wertesysteme, Kosmologie, Medizin und Computertechnologie. Im Gegensatz zu "Game over" brilliert der Autor hier mit fein recherchiertem Wissen, konsequenter Figuren- und Handlungsentwicklung und einem überraschenden, aber folgerichtigen Ende - sehr spannend, witzig, lakonisch, fast ein wenig zu intellektualisiert, aber ausgesprochen nett zu lesen, trotz der haarsträubenden Fußnoteninflation. Sehr beeindruckend - ich kann kaum glauben, daß "Game over" und "Der zweite Engel" tatsächlich vom gleichen Autor stammen.