Elementarteilchen.
Roman.
Michel Houellebecq, List 2001

 

"Reden Sie nicht darüber, lesen Sie es!" schreit der Klappentext.
Ich grüble noch immer über die Implikationen dieser Aufforderung. Was heißt das? Darf ich nicht darüber reden, wenn ich es nicht gelesen habe? Würde ich sowieso nicht tun. Soll ich, wenn mich die Lust überkommt, darüber zu sprechen, doch lieber - nochmals - darin lesen? *Darf* ich überhaupt darüber reden? Nee, oder? Ist Klappentextautor eigentlich ein anerkannter Lehrberuf?

Der Franzose mit dem nur bei Parallelvorbuchstabierung niederschreibbaren Namen hat die französische Literaturszene, und nicht nur die, gehörig umgekrempelt. Nach "Ausweitung der Kampfzone" kommt mit "Elementarteilchen" ein essayistischer, voyeuristscher, sprachverliebter, hochphilosophischer, gelegentlich recht ermüdender, aber sehr energisch und zielorientiert aufgebauter Roman daher. Houellebecq (cut & paste <g>) erzählt die Lebensgeschichte der Halbbrüder Michel und Bruno. Der emotionsarme, verkopfte Michel, hochbegabt, aber lustlos, wird Mikrobiologe, getrieben von der Hoffnung, im Mikroskopischen die Erklärungen zu finden, die jeder sucht, der sich Gedanken über Leben, Altern, Sterben, Ursprung und Dasein macht. Bruno hingegen ist eher im makroskopischen Bereich zugange - der zwar eloquente, aber ansonsten überaus mittelmäßige, kurzschwänzige und zur Fettleibigkeit neigende Lehrer verbringt seine Zeit mit wichsen, ständig und überall, zunächst jedenfalls, glotzt seinen Schülerinnen zwischen die Beine, onaniert im Unterricht und in Bussen, hängt in Nudistencamps und Swingerclubs herum. Als beide jenseits der Vierzig sind, stirbt die einzige Frau, die jemals auch nur annähernd Brunos morbide Gedankengänge
nachvollziehen konnte, während Michel in einem kurzen, lustlosen Aufleben einer Jugendliebe die Erkenntnis findet, zu keiner Emotion fähig zu sein. Zwischen den zahlreichen, gelegentlich überzogen drastischen Schilderungen plaudert Houellebeqc wissenschaftlich daher, analysiert politische, soziologische, kulturelle, biologische Hintergründe und zieht vor allem sehr vordergründig haarsträubend treffende Vergleiche zu Entwicklungen in der Tierwelt, verwandelt seine Protagonisten in Löwenmännchen, Amöben, Bakterien. Sprachlich vortrefflich, überaus fundiert, sehr lesbar - aber kein Buch, das mich dazu bewegen würde, länger darüber zu reden, als das Lesen gedauert hat.


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