Drop City. Roman.
Tom Coraghessan Boyle, Hanser 2003


Sommer 1970. Irgendwo im kalifornischen Nirwana leben dreißig Hippies in einer Kommune, auf dem Land von Norm Sender, dem ältesten in der Gruppe, der - ohne es wirklich zu wollen - als einzige Autorität anerkannt wird. Alle sind pausenlos auf Dope oder Acid, hören die einschlägigen Platten, kochen sich ihre Süppchen oder backen Haschkekse, basteln nachlässig an der Kanalisation, vögeln fröhlich durch die Gegend. Sie heißen Star, Pan, Verbie, Jiminy, Premstar, sie wollen frei sein, die Liebe spüren. Es gibt keinen Druck, keine Verantwortung, was nicht nur lustig ist, wie sich zeigt, als Verbies Kinder fast ertrinken, unter Dope. Oder als Lester, Franklin und Sky Dog, die schwarzen Hippies, vermeintlich eine fünfzehnjährige vergewaltigen.
Doch das Leben geht weiter, die Liebe wird's schon hinkriegen. Bis die Bagger kommen: Das County sieht die Kommune nicht so gerne. Als die hygienischen Zustände katastrophale Ausmaße annehmen, wird der drogenseligen Gemeinschaft der Garaus gemacht. Doch Norm Sender hat einen B-Plan. In Alaska, wo im Nirgendwo eine Blockhütte steht, die er geerbt hat, und wo es nur das Gesetz des Überlebens gibt, da könnte "Drop City", wie sich die Gemeinschaft nennt, eine fulminante Auferstehung feiern. Kurzerhand kauft man einen abgewrackten Schulbus und macht sich als Treck gen Norden auf. Doch Alaska wäre nicht Alaska, wenn es nicht Alaska wäre ...

T.C. Boyle läßt die Blumenkinder auf den harten Überlebenskampf im garstigen Busch treffen, dort, wo man Elche und Bären schießt, um im monatelangen Dunkel des Winters genug Fett zu haben, nicht gerade eine fröhliche Vorstellung für die Vegetarier unter den Hippies, wo man spätestens im Juni seine Pflänzchen im Boden haben muß, um vor Beginn der ein halbes Jahr währenden Nacht Möhren, Kartoffeln und - natürlich - Cannabis ernten zu können, wo es keinen Strom gibt, wo man kilometerlang wandern oder paddeln muß, um auf eine menschliche Seele zu treffen. Die verantwortungsverneinende Gruppe ist rasch überfordert, trotz aller Anfangserfolge. Als das Dunkel schließlich einbricht, steht "Drop City" vor dem zweiten Aus.

Das Buch schwankt zwischen Hommage und Satire. Boyle verzichtet dabei fast völlig auf Zynismus, Sarkasmus und Lakonie; er erzählt straight und sehr narrativ, läßt seinen Figuren manchmal etwas zu viel Raum, nur wenigen nähert er sich wirklich an, und manchmal ist es, als wage er den letzten Schritt nicht: Lange habe ich keinen Boyle mehr gelesen, in dem es so wenig Dramatik und "Action" gibt. "Drop City" berichtet vergleichsweise liebevoll von den naiven Spinnern, die erst sehr spät den Glauben daran aufgeben, daß Liebe, Drogen und "Peace" die einzige Antwort auf jeden möglichen Konflikt sind. Er stellt ihnen die etwas abgefuckten Trapper gegenüber, die in ihren muffigen Blockhütten hausen und bei fünfzig Grad minus die Fallenstrecken abgehen. Letztlich treffen zwei Aussteigergruppen aufeinander; das Buch ist insofern tatsächlich eine Hommage an die Verweigerer, deren Verzicht auf zivilisatorische "Errungenschaften" in der Konsequenz ein wesentlich härteres, dichteres, achtsameres Leben erfordert, eine Konsequenz, die manch einen - aus beiden Gruppen - über die Grenzen seiner Belastbarkeit treibt.

Was bleibt? Ein interessantes, sehr lesbares, mäßig spannendes Buch über Kulturen und Lebensplanungen, eine Mischung aus Jack London und Jack Kerouac, etwas anachronistisch, ein bißchen zu distanziert, etwas zu zaghaft - mehr Dramatik hätte den Figuren auch mehr Kontur gegeben.

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