Die Leiden eines Amerikaners. Roman.
Siri Hustvedt, Rowohlt


Die Leiden eines Amerikaners

Ein Hering, der an die Wand genagelt wurde

Hustvedt ist fraglos eine großartige Stilistin und eine sehr kluge Frau, und dass sie eine bemerkenswerte Erzählerin ist, scheint seit ihrem Weltbestseller "Was ich liebte" festzustehen. Alleine, ihr jüngster Roman überzeugt mich nicht. Ganz im Gegenteil.

Erik ist in den Vierzigern, Psychiater in New York, geschieden. Sein Vater stirbt, nach langem Leiden und turbulentem Leben, und er hinterlässt die eigene Geschichte in Form vieler Dokumente, Briefe und Tagebucheinträge. Im Nachlass befindet sich auch ein merkwürdiges Schreiben, das Erik und seine Schwester Inga, eine Künstlerin, die mit einem genialen Schriftsteller verheiratet war, der ebenfalls kürzlich verstorben ist, dazu veranlasst, in der Vergangenheit des Vaters und damit in der eigenen zu forschen. Etwa zur gleichen Zeit vermietet Erik die Einliegerwohnung seiner New Yorker Stadtvilla an Mirinda, die schöne, schwarze und alleinerziehende Mutter. Während der Psychiater fast sofort von Mirindas Tochter Eglantine, genannt "Eggy", ins Herz geschlossen wird, bleibt die Mutter auf Distanz. Dafür nähert sich ihr Ex-Freund an, Eggys Vater, ein durchgeknallter Performance-Fotokünstler. Auf eher gewaltsame Art.

Die Autorin hat viele autobiographische Elemente eingearbeitet, direkt und indirekt, steht die Schwester Inga beispielsweise im Schatten des genialen Autorenehemannes, wie Siri Hustvedt lange Zeit nur wahrgenommen wurde, wenn Paul Auster mitgenannt wurde. Aber das ist kein Argument für oder gegen irgendwas, obgleich es das Buch natürlich aus Sicht jener hervorhebt, denen Authentizität viel bedeutet. Ich gehöre nicht zu diesen Leuten; Geschichten müssen gut erzählt sein, und es scheint mir weniger wichtig, was ihre Ursprünge sind.

"Die Leiden eines Amerikaners" steckt so voller Schläue, Weisheit, genauer Beobachtung, Analyse, Deutung und Geschichtsverarbeitung - auch der 11. September spielt eine erhebliche Rolle -, dass man fast daran erstickt. Psychiater Erik bestätigt sämtliche Berufsklischees und kann selbst in romantischen und zärtlichen Momenten nicht aus seiner Rolle schlüpfen; eine Figur, die ganz Kopf ist, weshalb man ihr Gefühle bald nicht mehr glaubt. Die anderen Personen zitieren Kierkegaard aus dem Gedächtnis oder reden pausenlos wie ausgebildete Psychoanalytiker.

Hustvedt hätte sich und den Lesern einen größeren Gefallen getan, hätte sie gleich eine Autobiographie geschrieben. Ihr überintellektualisierter Versuch, die eigene und die amerikanische Vergangenheit in Symbole, Avatare, Träume und von allen Beteiligten fabrizierte Kunstwerke zu hüllen, erschreckt in seiner Distanziertheit und Künstlichkeit. Das entstandene Sittenbild zeigt eine narzisstische New Yorker Bohème, die wie das hölzerne Personal einer Provinzbühne wirkt, das einen verkopften Zweiakter vor dem falschen Publikum aufführt, und dabei so glaubhaft und authentisch wirkt wie ein Hering, der an die Wand genagelt wurde.

Eine Familiengeschichte, deren Personal an keiner Stelle Familie ist, sondern immer nur Facette der Autorin - oder Staffage. Larmoyant, manchmal fast schwülstig, zwanghaft interpretierend, schmerzhaft exhibitionistisch in seiner aufdringlichen Klugheit. Verblüffend, dass ein so vortrefflich geschriebenes Buch so schlecht sein kann.


Das Buch bei Amazon

zurück

Übersicht: Tom Liehr

©Tom Liehr - http://www.tom-liehr.de - Kontakt