Cosmopolis. Roman.
Don DeLillo, Kiepenheuer & Witsch 2003


Mal angenommen, "Cosmopolis" wäre nicht von DeLillo, einem der großen Romanciers der Gegenwart, der in einem Atemzug mit Pynchon, Roth, Updike und ähnlichen genannt wird - und der das mächtige, nicht gerade leicht verstehbare "Unterwelt"
verfaßt hat. Sondern es wäre von Hubert Bäusel aus Kleinhintermhügeldorf. Oder von einem der Jungautoren, die die CW-Kurse, wie es sie an fast jeder amerikanischen Uni gibt, en masse ausstoßen.

Zunächst einmal hätte ich in diesem Fall keine siebzehn Euro für ein Zweihundert- Seiten-Hardcover ausgegeben. Meine Erwartungshaltung wäre eine andere gewesen. Die Frage, die sich mir stellt, ist die, ob meine Enttäuschung in diesem Fall größer gewesen wäre. Größer hätte sein können.

Eric Packer ist Ende zwanzig, smart, hochintelligent, skrupellos, eigentlich völlig frei von Emotionen. Er gehört zu dieser seltsamen Kaste von Selfmademilliardären, die sich die noch seltsameren Mechanismen des internationalen Geldmarktes zunutze gemacht hat, unter Einsatz seiner enormen Kognition und einer gehören Menge Technik. Packer spekuliert - nicht nur, was Geld anbetrifft. Die Welt ist ein Spiel für ihn, Menschen sind günstigstenfalls die Figuren darin, bei seinen Bodyguards angefangen über seine sonstigen Mitarbeiter, seine Frau - bis hin zu ihm selbst.

An diesem Tag im April 2000 bewegt er sich in seiner gigantischen High-Tech-Limousine durch New York City - die Limo ist längst zu seinem eigentlichen Büro geworden. Im Schneckentempo schleicht das gepanzerte Auto durch die hektische Stadt, die er wahrnimmt, als wäre er in einem Themenpark in Orlando, Florida. Ab und zu steigt Packer aus, sieht sich Dinge an, trifft Leute - immer wieder auch seine steinreiche Ehefrau, zu der er - vorsichtig ausgedrückt - ein ambivalentes Verhältnis pflegt. Ein Arzt steigt zu und nimmt ambulant eine Prostatauntersuchung vor, Mitarbeiter treffen ein und verschwinden wieder, ein paar Male hat Packer Sex, in irgendwelchen Hotels und Appartments. Die Autofahrt wird zur beliebigen, zeitfreien Odyssee. Am Ende wird er all sein Geld und auch sein Leben verloren haben.

Der Protagonist in "Cosmopolis" fühlt sich als eine Art übergeordnete Instanz, als jemand, der auf dem Weg ist, all die kleinen und großen Zusammenhänge zu verstehen, der die Anachronismen erkennt und die inszenierten Elemente der Interaktion - ohne auch nur geringfügig involviert zu sein. Weil er die Welt auf Knopfdruck manipulieren kann, rein virtuelle Geldmengen bewegt, die ausreichen würden, "einen Planeten zu kolonisieren", verfügt er über eine große Macht, die aber letztlich ebenso virtuell ist, wie das Zahlenspiel auf den Monitoren im Fond der Stretchlimousine - und völlig bedeutungslos. Verwirrend hierbei ist, daß Packer eigentlich eher passiv und, wie erwähnt, absolut emotionsfrei agiert, seine Tätigkeit und die Einflüsse - und auch die Gefahren - wie ein Schauspiel zur Kenntnis nimmt. Die Figur hat etwas roboterhaftes, fremdgesteuertes - und eben dieser Umstand führt dazu, daß sie sich jeglicher Identifikation verweigert, daß die kurze und genaugenommen ereignisarme Geschichte am Ende verpufft wie das Vermögen Packers, das sowieso nur als Ansammlung binärer Daten existierte.

Und was ist das? Nun, man könnte es als Kritik an der "Informationsgesellschaft" verstehen, als kleine Satire über Sinn und Unsinn, generell die Sinnhaftigkeit der kaum mehr begreifbaren algorithmischen Systeme, die sich längst jeglicher Kontrolle entziehen und trotzdem über Gedeih und Verderb ganzer Nationen entscheiden. Packer, der letztlich selbst Bestandteil des Algorithmus? ist, könnte als Kunstfigur verstanden werden, als "menschliche" Verlängerung, als benutzerdefinierte Funktion des allumfassenden Computersystems, deren Parameter so eingestellt sind, daß ein Scheitern vorprogrammiert scheint. Andererseits spielt auch die Reizüberflutung, die Verfügbarkeit jedes denkbaren Reizes eine große Rolle - Packer, hier stellvertretend, steht jenseits aller Reizschwellen, die ohnehin immerfort sinken, für alle. Anders gesagt: Das Leben kann ihm nichts bieten, weil es ihm alles bietet, weil sämtliche Kontrollsysteme aufgehoben sind und alles Denkbare auch machbar ist. Die Konsequenz besteht darin, sehenden Auges in den eigenen Untergang zu rasen, ihn als logische Folge zu akzeptieren. Der Mensch hat sich überflüssig gemacht und wählt die einzige Lösung, die nicht Bestandteil des Systems ist - nachdem er eben diesem System zuvor seine Menschlichkeit geopfert hat.

Das aber ist alles Spekulation. "Cosmopolis" läßt sich auch wie eine sehr langweilige, künstliche, unauthentische, anmaßende kleine Story über einen etwas abgefuckten Typen lesen, der zwar über gewisse Eigenarten verfügt, aber ansonsten so uninteressant ist, daß kein Verlag dieses Buch angefaßt hätte, wäre es nicht von DeLillo. Und ich neige dazu, diesen Standpunkt zu verinnerlichen.

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