Die Liebe in den Zeiten der Cholera. Roman.
Gabriel Garcia Marquez, Kiepenheuer & Witsch 2002



Kolumbien, spätes 19. Jahrhundert. Der introvertierte Florentino Ariza verliebt sich - unsterblich, wie sich später zeigen wird - in die wunderschöne, distanzierte Fermina Daza. Zaghaft, wie es die Standesregeln vorgeben, nähern sich die beiden an, ohne je eine Minute alleine miteinander zu verbringen. Hauptsächlich sind es die lyrischen, emotionsreichen Briefe und Telegramme Arizas, die das Verhältnis fundamentieren, bis Ferminas Vater von der Geschichte Wind bekommt, und die Tochter kurzerhand auf eine zweijährige Reise mitnimmt, die auch das gewünschte Ergebnis zeitigt: Als sie ihrem vermeintlichen Liebhaber wiederbegegnet, dem sie zuvor schriftlich ein Heiratsversprechen gegeben hatte, wird ihr bewußt, wie wenig das jugendliche Verliebtsein mit der Realität zu tun hatte. Sie bricht mit ihm und heiratet wenig später, den Wünschen des Vaters entsprechend, den angesehenen, gutaussehenden und vielversprechenden Dr. Juvenal Urbino. Die respektvolle Ehe hält über fünfzig Jahre, bis Juvenal, der reputierte Mentor der Heimatstadt, tragikomisch stirbt. Florentino, der zwischenzeitlich ebenfalls Karriere gemacht hat, sich aber nur flüchtigen - dafür reichlichen - Liebeleien hingab, steht sofort wieder auf der Matte. Es dauert Monate, bis sich das nunmehr über siebzigjährige Liebespaar schließlich findet, um auf einem Flußdampfer unter der gehißten Choleraflagge ein spätes, kurzes, von den Kindern verachtetes Liebesglück zu finden.

Marquez ist ein großer Narrator, der detailreich, augenzwinkernd und mit einem fantastischen Gefühl für Diktion ein Sittengemälde zeichnet, das über fünfzig Jahre lateinamerikanischer Nachkolonialkultur umfaßt, aber leider nähert er sich seinen Protagonisten weit weniger an als seinem Erzählumfeld. Die tragische, komische, viele Tabus brechende Liebesgeschichte wirkt teigig, zuweilen gezwungen und in ihren Details, aber auch in ihrer Entwicklung manchmal rechtschaffen unglaubwürdig. Das etwas zu mächtige und leider zeitweise ziemlich langweilige Buch wird hauptsächlich von seinen Hintergründen und geschichtlichen, kulturellen und sozialen Anmerkungen getragen. Daß sich Fermina und Florentino letztlich bekommen werden, steht von der ersten Seite an fest, daß sie sich eben jene kulturellen Hintergründe zunutze machen, um die Liebe auch leben zu können, ist die eigentliche Leistung des Romans. Bemerkenswert an diesem 1985 entstandenen Buch ist seine sprachliche Positionierung - und der völlige Verzicht auf klischeehafte Endgültigkeiten, denn an keiner Stelle gibt es nur Licht oder nur Dunkel, sondern, wie im "richtigen" Leben, immer eine gesunde, manchmal sehr deprimierende Mischung aus beidem. Ein literarisch hochwertiger Liebesroman, der keiner ist.

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