Chefsache.
Roman.
Max Barry, Heyne 2004

Das "Omega-Management-System" gilt als Standard für moderne Unternehmensführung, weshalb sich der frische Universitätsabsolvent Stephen Jones ein entsprechendes Buch kauft, bevor er seine neue Stelle beim Konzern Zephyr Holdings antritt. Jones wird allerdings kein Manager, sondern Verkaufsassistent in der Abteilung "Schulungsverkauf". Dies ist die einzige Abteilung bei Zephyr, die augenscheinlich überhaupt Geschäfte macht - verblüffenderweise mit dem Konzern selbst, denn die Schulungen werden an andere Abteilungen verkauft, die nichtsdestotrotz als "Kunden" bezeichnet werden. Dies ist längst nicht die einzige Merkwürdigkeit, mit der der neue, überdurchschnittlich clevere Mitarbeiter konfrontiert wird. Das Betriebsklima wird geprägt von kleinen Intrigen (bei denen es nicht selten um Nebensächlichkeiten wie Donuts geht), permanenten Jobverlustängsten, fortwährenden strukturellen Änderungen und einer seltsamen Ungewissheit hinsichtlich der Betätigungsfelder von Zephyr. Verkürzt gesagt: Niemand weiß, was der Laden eigentlich macht - und nur wenige interessieren sich überhaupt dafür. Jones will sich damit nicht abfinden und kommt schnell hinter das Geheimnis. Zephyr ist ein Scheinbetrieb, ein Experimentierfeld, das einer Schattenunternehmung namens Alpha dazu dient, neue Managementtechniken zu erproben - eben jene, die später Bestandteil des "Omega-Systems" werden. Bevor Jones eins und eins zusammenzählen kann, wird er von Alpha okkupiert. Fortan führt er ein Doppelleben als einfacher Angestellter im sich pausenlos ändernden Unternehmen und als Agent für Alpha. Das hat zumindest einen großen Vorteil: Er ist der zauberhaften, aber karrieregeilen Eve Jantiss sehr viel näher.

"Chefsache" mutet wie eine Satire an, zeichnet aber eigentlich ein sehr realitätsnahes Bild der Strukturen innerhalb eines Konzerns, in dem nur wenige Mitarbeiter dem Unternehmenszweck entsprechend tätig, sondern in der Hauptsache mit sich selbst beschäftigt sind, wenn sie nicht gerade mit völlig sinnlos erscheinenden neuen Managementvorgaben - insbesondere aber dem Horrorszenario "Konsolidierung" - konfrontiert werden. Die Besonderheit der Zephyr-Mitarbeiter besteht darin, keinem übergeordneten Zweck zu dienen, denn sie wissen nichts von Alpha. Jones erträgt die fortwährende Drangsalierung seiner Kollegen als Versuchskaninchen irgendwann nicht mehr und bläst zur Rebellion.

Das Buch erinnert stark an "Ganze Arbeit" des Briten Magnus Mills, der ein ganzes Unternehmensgeflecht skizziert, das völlig unproduktiv und ausschließlich mit sich selbst beschäftigt ist, wobei der große Unterschied darin besteht, dass Mills' Protagonisten darum wissen. Leider versandet Barrys Managementsatire, die er seinem ehemaligen Arbeitgeber Hewlett-Packard gewidmet hat, weil er die Handlung zu einer vermeintlichen Lösung zwingen will. Hätte er das Perpetuum Mobile überleben lassen und den distanziert-lakonischen Ton des ersten Drittels beibehalten, wäre "Chefsache" ein zynisches und sehr amüsantes Buch über den ganz alltäglichen Managementwahnsinn geworden. So ist es das leider nur streckenweise, aber amüsant ist es allemal. Und erschreckend realistisch.

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