Das bin doch ich. Roman.
Thomas Glavinic, dtv 2010
Die Vermessung der Schriftstellerwelt
Thomas Glavinic hat in diesem Roman, der 2007 erschien, über einen Autor namens Thomas Glavinic geschrieben. Dieser lebt in Wien, hatte bereits ein paar Achtungserfolge, kann sogar eine Verfilmung vorweisen, aber so recht hat sich der Erfolg noch nicht eingestellt. Erfolg, das wäre die Longlist zum Deutschen Buchpreis. Großer Erfolg, das wäre die Shortlist. Ganz großer Erfolg aber ist, was Daniel Kehlmann, ein Spezi Glavinics, mit "Die Vermessung der Welt" parallel vormacht. Ein wiederkehrendes Element in "Das bin doch ich" sind Gespräche oder SMS-Dialoge mit Kehlmann, die zumeist mit der Nennung der aktuellen Verkaufszahlen enden. Fast eine Million Bücher sind es am Ende. Auf Kehlmann, den ein Kritiker sinngemäß als "die bemerkenswerteste deutsche Autorenstimme" bezeichnet, bezieht sich dann auch der Titel: "Das bin doch ich", kommentiert Glavinic gedanklich den Kommentar.
Dieser Roman-Glavinic ist egozentrisch, hypochondrisch, idiosynkratisch, aviophob, tendenz-misantroph und auf dem besten Weg zum Schwerstalkoholiker. Er nimmt jeden Termin wahr, der sich bietet, so auch die Jury-Mitgliedschaft bei einem Filmpreis, der ihn überhaupt nicht interessiert, fühlt sich aber meistens unwohl unter Menschen, nicht nur unter fremden. Er geht täglich zum Inder essen, am Naschmarkt, und isst auch immer das gleiche, und findet fortwährend Ausreden dafür, das Ritual zu wiederholen. Er schreibt nachts im Suff E-Mails und schämt sich am Morgen dafür, ist aber erstaunlicherweise nicht dazu in der Lage, nachzuprüfen, was er da der Weltgeschichte mitgeteilt hat. Er wartet auf Antwort seiner Agentin, der das neueste Werk - "Die Arbeit der Nacht" - vorliegt. Glavinic googelt ständig nach sich selbst, hat sogar den eigenen Wikipedia-Eintrag verfasst, aber er schämt sich ein bisschen, allerdings auf eitle Weise, wenn er wieder einmal erklären muss, darf oder soll, Schriftsteller zu sein. Er liest andere Autoren - etwa Denis Johnson - und ärgert sich darüber, solche Bücher nicht schreiben zu können. Er zweifelt. Er trinkt und trinkt und trinkt. Er meidet den Anblick der eigenen Hoden, weil er mal gelesen hat, dass Vergrößerungen auf Krebs hinweisen können. Er ist, in wenigen Worten zusammengefasst, eine unsichere, fremdbestimmte Person, was ihn wohl auch - nach eigener Diagnose, die irgendwo zwischen den Zeilen aufzufinden ist - hauptsächlich von jenen Autoren unterscheidet, die Erfolg haben, also auf irgendwelchen Long- oder Shortlists herumhängen. Aber das ist - im Roman wie in der Kritik - eine Mutmaßung.
Um zwei Dinge geht es in "Das bin doch ich" nur am Rande. Einerseits um Glavinics Familie, insbesondere die Frau Else und den Sohn Stanislaus, die zwar zum Personal gehören, aber eher die Präsenz von Nachbarn oder Arbeitskollegen aufweisen (diese Schonung könnte als Indiz für die Authentizität der Erzählung gewertet werden). Und andererseits, erstaunlicherweise, um das Schreiben. Hin und wieder wird zwar der Druck, das Schreibenmüssen, thematisiert, aber die Schriftstellerei als Motiv reduziert sich auf die Rezeption durch andere, auf den messbaren Erfolg und die Würdigung durch die Kritiker. Folgerichtig endet der Roman auch damit, dass "Die Arbeit der Nacht" zwar bei einem nennenswerten Verlag (Hanser) erscheint, Glavinic aber wieder nicht auf einer "List" landet (das wird übrigens später ausgerechnet mit "Das bin doch ich" erstmals gelingen).
Das Buch wird als Roman gehandelt, eine Kategorisierung, die der Leser hinnehmen muss, weshalb sich die Frage danach, was hier Fiktion und was Biografie ist, eigentlich verbietet. Allerdings gibt es auch kein Gesetz, das die Spielregeln eines Autors für die Wahrnehmung von dessen Werk vorschreibt. Wer Autor und ehrlich zu sich selbst ist, wird sich im Roman wiedererkennen, woran auch die dezente ironische Überspitzung nichts ändert. Kulturschaffende sind Sklaven jener, die Kultur bewerten, und von dieser Form der Sklaverei handelt "Das bin doch ich." Vom Hoffen und Bangen, vom Vergleichen und Abwarten, vom Ausgeliefertsein. Dass die Schöpfung selbst dabei zum Nebenaspekt gerät, erklärt sich spätestens an dieser Stelle.
Sprachlich kommt "Das bin doch ich" im Vergleich zum restlichen Oeuvre Glavinics eher geradlinig daher, weniger kunstvoll, persönlicher, wenn man - wer eigentlich? - so will. Das Buch ist möglicherweise ein kleines, gemeines Spielchen mit der Erwartungshaltung des Lesers, vielleicht aber auch einfach ein ehrliches Stück biografischer Gegenwartsliteratur, das endlich jemand den Mut hatte, zu schreiben. So oder so - es ist interessant, meistens spannend und im Wortsinn bemerkenswert.