Die Bettgeschichten der Meisterköche. Roman.
Irvine Welsh, Kiepenheuer & Witsch Verlag, Mai 2008


bettgeschichten



Danny Skinner ist Anfang zwanzig, sieht gut aus und hat einen lockeren Job - für die Stadtverwaltung inspiziert er Kneipen und Restaurants. Das kommt seiner Leidenschaft, der Sauferei, ziemlich entgegen. Danny trinkt gerne, täglich und große Mengen. Das kostet ihn einiges, zum Beispiel seine Freundin Kay, die er eigentlich liebt, aber nicht so sehr wie den Alkohol.
Dann tritt Brian Kibby auf den Plan. Der schüchterne, schmale Strebertyp verbringt seine Freizeit auf Star-Trek-Conventions, mit einer Art Pfadfindergruppe oder dem Videospiel "Harvest Moon", hatte noch nie Sex und trinkt nicht. Danny entwickelt eine fundamentale Aversion gegen den neuen Kollegen, kann sich aber nicht so recht erklären, wie sich der enorme Hass speist, den er empfindet. Brian hat nichts, auf das Danny neidisch sein müsste, ganz im Gegenteil schleppt der promiske Trinker sogar noch die hübsche Kollegin ab, auf die Brian ein Auge geworfen hatte.
Am Morgen nach einer wirklich heftigen Nacht stellt Danny dann verblüfft fest, dass die üblichen Nachwehen der Alkohol- und Drogenexzesse nicht einsetzen. Stattdessen sitzt der arme Brian völlig zerschlagen an seinem Schreibtisch, als hätte er eine ganze Brauerei leergesoffen.
Zufall?
Eher nicht.
Während Danny nunmehr Nacht für Nacht Sauereien aller Art auf die Spitze treibt, erwacht er immer wieder frisch und erholt, während Brians Gesundheitszustand alsbald bedenkliche Formen annimmt. Irgendein Fluch oder Voodoo-Zauber bewirkt, dass der schmale Kollege die Last von Dannys Exzessen tragen muss.
Nur: Warum?
Und: Wie wird es enden?
Hinter alldem steht möglicherweise die Kernfrage, die sich Danny fortwährend stellt, die nach der eigenen Herkunft nämlich. Seine Mutter Beverly lässt ihn über die Identität seines Erzeugers im Ungewissen, aber Danny ahnt, dass sie mit den Köchen in einem damals sehr beliebten Pub, in dem Beverly gearbeitet hat, zu tun haben muss. Einer von diesen Köchen, inzwischen mit Michelin-Sternen beglückt, ist sogar ein sehr aussichtsreicher Kandidat. Aber auch das neueste Buch dieses Sternekochs, "Die Bettgeschichten der Meisterköche", liefert keine schlüssige Auskunft.
Welshs neuer Roman beginnt träge, fast zäh, und man fragt sich als Leser lange, worum es eigentlich geht. Die Szenen sind zwar anschaulich, durchaus tiefgründig und zuweilen ziemlich amüsant be- und geschrieben, und im Gegensatz zu früheren Büchern fehlt die brachiale Gossensprache fast (aber nur fast) völlig, aber es dauert bis zum Ende des ersten Drittels, bis die Handlung langsam in die Gänge kommt.
Dann aber wird es ... ja, was eigentlich? Spannend durchaus, und interessant auch, liefert Welsh doch eine intensive Milieustudie über das saufende Edinburgh. Die Entwicklung des rasant verfallenden Brian Kibby schmerzt und wird fast quälend anschaulich beschrieben. Man hofft auf eine Veränderung, Verbesserung, und es wird stattdessen immer noch schlimmer, bis hin zur Lebertransplantation.
Das alles ist gut gelungen, wie auch die Figurenzeichnung - angefangen bei Kibbys frömmelnder Mutter, die ihm aus therapeutischen Gründen das Onanieren verbietet, bis hin zu Skinners Vorgesetzten - stimmig ist und nur bei Skinner selbst, der sich gelegentlich als Feingeist zeigt, etwas merkwürdig ausfällt.
Das Buch schafft es, mit jeder Seite mehr zu überzeugen, fesselt nachgerade, auch wenn es manch einen logischen Fallstrick und überflüssig scheinende Entwicklung gibt (etwa Dannys Amerikareise). Das Ende allerdings hinterlässt den Leser dann wieder so verwirrt, wie er es am Anfang möglicherweise war.
Viele offene Fragen - oder Antworten, die sich in Andeutungen verlieren. Das ist schade, hatte man doch zwischendrin oft den Eindruck, einen gereiften, dramaturgisch gefestigten Welsh vor sich zu haben, der es endlich geschafft hat, seine wunderbaren Underdog-Biographien mit einer originellen und schlüssigen Rahmenhandlung zu verbinden.
Das ist nicht ganz gelungen, leider. Und auch dieser Welsh ist wieder gute hundert Seiten zu lang. Trotzdem sehr lesenswert, mit fein herausgearbeiteten Charakteren, viel Witz, genauer Beobachtung und authentischen Dialogen.

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