Der Besen im System. Roman.
David Foster Wallace, Rowohlt 2006
Die Ouvertüre zu "Unendlicher Spaß"
Eine hübsche junge Frau namens Leonore, die nur weiße Baumwollkleider und ausgeleierte Turnschuhe trägt, eigentlich reich wäre, wenn sie mit dem Vater, der Babynahrung herstellt, nicht gebrochen hätte, und die für vier Dollar in der Stunde in der Telefonzentrale eines obskuren Verlags jobbt, der keine Publikationen herausgibt. Ein Verlagsinhaber, der darunter leidet, ein recht kleines Glied zu besitzen, zum Ausgleich seiner Freundin - Leonore - Geschichten erzählt, die vermeintlich dem Verlag zugesendet wurden, wahrscheinlich aber von ihm erdacht wurden. Ein Nymphensittich namens Vlad, der Pfähler, der plötzlich fließend sprechen kann. Eine Oma, auch namens Leonore, die nur bei 37 Grad Außentemperatur lebensfähig ist und gemeinsam mit mehreren Dutzend anderen Insassen spurlos aus dem Altenheim verschwindet. Eine künstliche Wüste mit der Bezeichnung G.O.D. - Great Ohio Desert. Ein Psychiater, der sämtliche Leiden auf eine hirnrissige Membran-Theorie zurückführt, in seiner Praxis eine Art Autoscooter betreibt und seine Patienten gerne auch mal fragt, ob sie eigentlich bekloppt seien. Ein fetter Industrieller, der durch enorme Gewichtszunahme die gesamte Menschheit verdrängen will. Ein junger Mann, der sich "Antichrist" nennt, in seiner Beinprothese Drogen hortet und als Gegenleistung für Nachschub seine Kommilitonen mit Prüfungsantworten versorgt. Eine durchdrehende Verlags-Telefonanlage, die Anrufe für "Bambis Bondage Studio" durchstellt und viele andere, aber nie die richtigen. Ein Fernsehmissionar, der den sprechenden Vogel als Stimme Gottes verkaufen will. Und, und, und.
Dazu wechselnde Perspektiven und Zeiten, seitenlange Dialoge ohne Nennung der Sprecher, Fragmente aus Geschichten, kryptische Anspielungen, Abkürzungen und Zitate. "Der Besen im System" hält, was der Titel verspricht: Sobald sich der Roman, den Wallace in den Danksagungen als "Projekt" bezeichnet hat, zu etwas entwickeln scheint, verhaken sich die Borsten des immanenten Besens und lassen die Maschine absichtlich unrund laufen.
Das Debüt des gefeierten Autors, der nach dem Erscheinen von "Unendlicher Spaß - Infinite Jest" Selbstmord beging, zeigt die Richtung an, die Wallace später vervollkommnen wird: Verweigerung aller bekannten Formen, wildes Spiel mit Stilmitteln, kreatives Chaos auf höchstem Niveau. Wer Bücher erwartet, die einfach so Geschichten erzählen, ist hier fehl am Platz. Wer sich aber darauf einlässt, einem Schriftsteller zu begegnen, der Strukturen aushebelt und vermeintlich dem "Creative Flow" alle Entscheidungen überlässt, möglicherweise bewusster, als erkennbar wird, kann "Der Besen im System" durchaus mit Genuss lesen.
Davon abgesehen bietet das stotternde System amüsante, kluge, originelle und sehr, sehr unkonventionelle Lesestunden. Bewältigt man das stark fragmentarische, fast 700 Seiten lange Werk, das, was den Anspruch anbetrifft, bestenfalls eine leise Ouvertüre zu "Infinite Jest" darstellt, muss man aber für sich selbst herausfinden, was zur Hölle das eigentlich war, was man gerade gelesen hat.