Batmans Schönheit. Chengs letzter Fall. Roman.
Heinrich Steinfest, Piper 2010


Batmans Schönheit

Nirgendwo auf dem oder im Buch findet man einen Hinweis darauf, dass es sich um einen Roman, gar einen mit dem Präfix "Kriminal" handeln soll. Das Cover zeigt eine brennende Kerze, einen an dieser Kerze "vorbeischwimmenden" Goldfisch und zwei Reihen Luftbläschen, die vom unsichtbaren Boden aufsteigen. Diese uneindeutige Symbolik zieht sich durch das gesamte Buch.

Ich fühlte mich an Haas' "Das ewige Leben" erinnert, jenen Abschluss der "Brenner"-Reihe, in dem Wolf Haas die bis dahin ausschließlich kommentierende Erzählfigur in den Vordergrund treten ließ, um sich (vorläufig, wie wir inzwischen wissen) von seiner Hauptfigur zu verabschieden, die sich vermutlich zu einer Last entwickelt hatte. Die Erzählungen um Steinfests einarmigen Privatdetektiv Markus Cheng, Wiener mit chinesischen (und, wie wir jetzt erfahren, teilweise auch japanischen) Wurzeln, sind ebenfalls in eine Struktur eingebettet, die Handlung zur Nebensache erklärt und vom zuweilen etwas abseitigen Geplauder lebt. Wobei "Geplauder" das falsche Wort ist: Steinfests Erzähler ist Philosoph, Wortakrobat, genauer Beobachter, aber auch starker Verallgemeinerer. Manchmal tiefgründig, häufig metaphorierend, sprachlich dabei immer am Maximum. Hin und wieder sind die Vergleiche stark überzogen, fühlt man sich als Beobachter bei einem Spiel, dessen Regeln schwer zu verstehen sind.

In Wien werden Schauspieler ermordet: Man lässt sie verbluten, nachdem man ihnen mit exakt fünf Pistolenschüssen starke, aber nicht mittelbar lebensgefährliche Verletzungen zugefügt hat. Kurz vor dem Ableben klebt der Mörder den Verendenden Briefmarken auf die Zungen, seltene norwegische Briefmarken von einer Insel namens Bouvet - irgendwo im Atlantik.

Ein Mann namens Ernest Hemingway, Migrant aus den Vereinigten Staaten, nannte sich, in Hamburg angekommen, Ernst, um nicht mehr mit dem Schriftsteller verglichen zu werden. Er wurde Maler, aber kein sehr erfolgreicher, bis Palle Swedenborg auf den Plan trat, ein geheimnisvoller, erfolgreicher Unternehmer, jedoch durchaus als Halbweltler erkennbar. Swedenborg nahm Hemigway unter seine Fittiche, und der sich fortan nur noch "Red" nennende Ex-Maler wurde zur rechten Hand. Bis sich das lange Geahnte offenbart und Red eine Entscheidung trifft - die falsche. Zur Strafe wird er nach Wien geschickt, obwohl er glaubt, nach Bouvet reisen zu müssen.

Und dann ist da noch Markus Cheng, der sich aus dem Detektivgeschäft zurückgezogen hat, mit der Frau, die, wie er findet, zu schade für ihn ist, in einer Wiener Wohnung lebt und sich vor allem um die angeheiratete Tochter kümmert. Für diese kauft er eines Tages ein Miniaquarium mit Urzeitkrebsen, die alle Achtzigerkinder noch aus dem "Yps mit Gimmick" kennen. Da sich die Tochter nicht für das Getier interessiert, wird Cheng Urzeitkrebszüchter. Vor allem ein Krebschen, das offenbar sehr viel stärker als alle anderen ist, hat es ihm angetan. In Erinnerung an die verstorbene Katze nennt Cheng das Tier "Batman" und beobachtet es akribisch.

Seltsame Rätsel führen Red zu Cheng, der eine gemeinsame Vergangenheit mit Swedenborg hat. Aber es fragt sich, welcher Cheng gemeint ist - der echte oder jener aus den Romanen. Währenddessen offenbart sich, dass es bei all dem um Engel geht - um böse Engel und gute Engel, um Jäger und Gejagte.

Steinfests Romane verweigern sich ohnehin der formalen Analyse, stellen Fragen, für die es keine Antworten zu geben scheint (deren Beantwortung auch nebensächlich wäre), oder reichen Antworten zu Fragen, die keiner gestellt hat, und auch wenn einige von ihnen sogar mit dem Etikett "Kriminalroman" versehen sind, steht eigentlich bei keinem die Aufklärung eines Falles wirklich im Vordergrund. In "Batmans Schönheit" wird dieses regelfreie Spiel noch weiter getrieben, nicht nur bei der Vermischung von Fiktion und Schöpfung.

Am Ende war ich sicher, ein großartiges Buch gelesen zu haben, ohne genau zu wissen, was eigentlich großartig an diesem Buch ist. Übrigens ist wahrscheinlich sogar der Subtitel - letzter Fall - irgendwie metaphorisch zu verstehen, denn Cheng ermittelt nicht. Oder nur sehr kurz. Wie auch immer - zwischen Rätseln, dichter, aber nicht immer zu entschlüsselnder Symbolik, Abhandlungen über Wiener Stadtbezirke, Freibäder, Atlantikinseln, Kindeserziehung, Gösser-Bier und vieles mehr findet sich hin und wieder auch ein wenig Handlung, die man unterm Strich als "Geschichte" bezeichnen könnte. Aber man muss nicht. Es ist halt ein Steinfest, also sprachlich abseits aller Normen (in positivem Sinn), und ansonsten ein Roman, den vermutlich jeder einzelne Leser anders versteht. Wenn überhaupt.

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