Mister Aufziehvogel.
Roman.
Haruki Murakami, btb 2000



Noch nie habe ich ein Buch gelesen, bei dem mir bis zur (einschließlich) letzten Seite nicht begreiflich wurde, worum zur Hölle es eigentlich geht. Bis jetzt. Murakamis "Mister Aufziehvogel" ist ein langes, langatmiges, zeitweise sehr langweiliges, anstrengendes Buch voll vorder- und/oder hintergründiger Metaphorik, durchsetzt mit kultur- und sozialpolitischen Andeutungen, mystisch, esoterisch, dabei spröde und irgendwie passiv.

Der Protagonist Toru Okada gibt seinen Job als Kanzleigehilfe auf, etwas später verschwindet der Kater, den Okada und seine Frau Kumiko nach ihrem Bruder benannt haben, einem glatten, gefährlichen Mann, der über großen Einfluß und wachsende politische Machtfülle verfügt. Toru Okada denkt ein wenig über sein Leben nach, während er den Haushalt versorgt, sich mit einem hellseherisch begabten Schwesternpaar trifft, das bei der Suche nach dem Kater helfen soll.
Okada wird kurz darauf von seiner Frau verlassen, begegnet halbmystischen Figuren, wie einem ehemaligen Armeeleutnant, der während des zweiten Weltkrieges in der Mandschurei traumatische Erlebnisse hatte, die darin mündeten, daß er tagelang in einem trockenen Brunnen eingeschlossen war, nachdem er miterleben mußte, wie sein Vorgesetzter lebendig gehäutet wurde.
Einen solchen ausgetrockneten Brunnen gibt es übrigens auch in Okadas Nachbarschaft, auf dem Grundstück des "Selbstmörder-Hauses". Diesem Grundstück gleich gegenüber wohnt die junge May, mit der ein sehr seltsames Verhältnis beginnt. Und überhaupt ist *alles* sehr seltsam, gleichnis- und bildhaft, die Figuren heißen Kreta, Malta, Muskat und Zimt, der Kater taucht wieder auf, wie das Mal auf Okadas Wange, das farbig pulsiert und als Schlüssel zu einer tiefergehenden Wahrnehmung dient. Irgendwie hat das alles mit sich wiederholender Geschichte zu tun, mit Machtmißbrauch, Gewalt, Passivität, aber wie letztendlich genau - keine Ahnung.

Zwischendurch gibt es eindringliche Abschnitte, messerscharf erzählte Ereignisse von beeindruckender sprachlicher Gewalt, Rückblicke auf Kriegserlebnisse und dergleichen, aber all dem scheint die Balance zu fehlen, der deutlichere Verweis auf einen Zusammenhang, jedenfalls deutlicher an der lesbaren Oberfläche. Als hätte sich der Autor übernommen - oder der Leser. Wie ein Puzzlespiel, das am Ende das Bild einer völlig unbekannten, wilden, nicht zweifelsfrei erkennbaren Landschaft ergibt, was den Puzzlespieler daran zweifeln läßt, ob er das Bild richtig gelegt hat - obwohl alle Teilchen ineinander passen, wenigstens zu passen scheinen. Da fehlt das Handbuch zum Buch, oder mir der geschichtliche, soziologische Hintergrund, um es im Sinne des Autors lesen zu können.



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