Die Anderen - eine mysteriöse Geschichte.
Erzählung.
Martin Amis, Fischer 1999

 

Amis' Frühwerk - Anfang der Achtziger entstanden - legt die Fundamente für den "dirty realism", für den der Autor von "Gier", "London Fields (1999)" und "Information" später berühmt und berüchtigt wurde.

Eine junge Frau erwacht im Krankenhaus, wird im Anschluß an eine kurze, verwirrende Nachuntersuchung entlassen, ohne daß sie wüßte, was ihr geschieht, oder warum. Denn sie hat ihr Gedächtnis verloren. Der Frau fehlt die Identität, aber auch alles, was man so im Leben lernt; sie weiß nichts. Wolken am Himmel hält sie für träge Wesen, und daß die so grundverschiedenen Menschen einer Rasse, einer Gemeinschaft angehören, wird ihr erst nach und nach klar. Bis dahin bleiben sie "die Anderen".

Mary Lamb, wie sich die Frau irgendwann nennt, als ihr aufgeht, daß Bezeichnungen wichtig für die Unterscheidung von Dingen und Lebewesen sind, gerät in eine aufwühlende, gewalttätige, zersetzende Odyssee am Rande der Gesellschaft. Sie wird vergewaltigt, ohne zu wissen, was die Gründe dafür sind oder was sie dagegen tun könnte - ob es diese Option *überhaupt* gibt -, sie wird ausgenutzt, herumgestoßen, landet in einem Asyl, gelangt schließlich an einen Job als Kellnerin. In der muffigen Kneipe stellt sich zum ersten Mal eine Art Wohlbefinden ein, aber hier sind es andere Strukturen, die nach Mary trachten: Der fahle, sich pausenlos Haare ausreißende Alan verliebt sich in sie, der verbalpromiske Russ tändelt mit ihr herum, und der alternde Kneipenbesitzer sieht ihr durch ein Loch in der Wand zu, während sie auf dem Klo sitzt. Mary hält all das für richtig und selbstverständlich, wehrt sich nicht gegen Alan, der sie in eine trübe Beziehung zerrt, und lernt mit wachem Augen Dinge zu sehen und zu verstehen, die für unsereins selbstverständlich sind - so selbstverständlich, daß wir sie nicht mehr wahrnehmen.

Währenddessen öffnet sich langsam der Blick in die Vergangenheit. Die liebreizende und amnesisch-naive Mary war natürlich jemand, sie war Amy Hide, eine verschlagene, gelangweilte, bösartige junge Frau, die ihre Reize und die Fähigkeit, Macht über andere auszuüben, ausnutzte, Menschen zerstörte, Schicksale beschleunigte. Ein obskurer Polizist namens Prince führt Mary an Amy heran, zeigt die Geschichte, während Mary in der beneidenswerten Lage ist, mitten im Leben von vorne anzufangen. Doch die Dinge sind nicht, wie sie scheinen.

Eine fantastisch erzählte, schockierende, pessimistische und mit vielen kleinen Weisheiten durchsetzte Geschichte, die weit mehr leistet, als den Blick zu öffnen, die verängstigt und berührt, und außerdem sehr, sehr spannend zu lesen ist.



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