Anarchoshnitzel schrieen sie. Roman.
Oliver Maria Schmitt, Rowohlt 2006


Hunter S. Henscheid from Hellingen

Peter "Zombie" Hein lebt gut davon, sich Mitte der Neunziger ein paar fette Web-Domains gesichert zu haben. Das gibt ihm die Freiheit, dem Ruf zu folgen, der 2005 erschallt: Es soll ein finales Konzert der "Gruppe Senf" geben, die in den frühen Achtzigern den Punk nach Schwaben brachte, aber vergaß, ihn wieder fortzutragen. Immerhin schaffte es die talentlose Combo sogar auf Platz 53 der Charts, und wenn das kein Grund ist. Ist es ja auch nicht wirklich. Denn hinter der vermeintlichen Reunion, die sich schwieriger gestaltet, als das in Punk-Kreisen sonst üblich sein mag, steckt mehr. Da ist nicht nur die nie überwundene Liebe Heins zur Ex-Frontfrau Litty Lunatic, die mithin Braunkohlegruben besetzt hält, um eine Lausitzer Gemeinde namens "Horno", die längst verlassen ist, vor dem Abriß zu bewahren. Da ist nicht nur NJN, der eher unfreiwillige Ex-Manager der Band, der plötzlich wieder auftaucht und alle Fäden zieht, zudem den Osten mit Drogen beliefert und mit der Russenmafia angebandelt hat. Da ist nicht nur der ungeklärte Tod des ehemaligen Leadgitarristen Hector. Vor allem anderen steht die Frage im Raum: Ist der Punk tot? Und, wenn ja: Hat er je gelebt?

Gute 20 Jahre später also machen sich "Zombie" Hein und "Dr." Hollenbach, ehemaliger Drummer der Band, in einem illegal "gemieteten" 500er-Daimler auf den Weg in den wilden Osten, um die nichtverstorbenen Bandmitglieder einzusammeln. Am Ende geht es nach Köln, und dort winkt zwar nicht wirklich ein Konzert, sondern lediglich der Auftritt in einer Unterschichtfernsehshow, aber auch darum geht's nicht. Der Weg ist gepflastet mit widerlichen Rostbratwürsten, führt durch verwaiste Plattenbauortschaften, vorbei an dicken Lesben, tuckigen Skins, kotzenden Ostlern, Gras, Minze, Zigaretten und Bier.

Worum also geht es? Das ist eine gute Frage. Die Figuren, allesamt durchgeknallt, aber auf eher bürgerliche Weise, haspeln sich durch einen knapp 350 Seiten langen Essay, der zu guten Teilen aus Christian Grafs "Punk-Lexikon" gespeist zu sein scheint. Der Rest der Geschichte erinnert, vorsichtig ausgedrückt, stark an Hunter S. Thompsons "Angst und Schrecken in Las Vegas", auf das immerhin auch mehrere direkte Verweise enthalten sind, und an Eckhard Henscheids Kneipenliteraturbibel "Vollidioten", letzteres vor allem sprachlich, was sich in vielen Abschnitten niederschlägt, die in zitierter indirekter Rede gehalten sind. Das liest sich, als hätte jemand unbedingt gewollt, aber nicht so richtig gewußt, was. Dieser Makel, der sich nach und nach zum Problem steigert, wird durch wenig subtilen Haudrauf-Humor auszugleichen versucht, was darin gipfelt, daß die Gründungsversammlung einer Ost-Protest-Partei in der Kotze der Teilnehmer ertrinkt. Bruhaha.

Immerhin, und das muß man Schmitt zugute halten, ist der an viel Altbekanntes erinnernde Patchworkroman zwar weitgehend handlungs- und irgendwie auch sinnfrei, aber gelegentlich durchaus pfiffig im Detail. Manch eine Wort- oder szenische Schöpfung hat ihre Qualitäten, und auch der gegen wachsenden Unwillen ankämpfende, anfangs durchaus geneigte Leser amüsiert sich hier und da. Aber die - zuweilen durchaus als brillant zu bezeichnenden - sprachlichen Fähigkeiten des ehemaligen "Titanic"-Chefredakteurs gleichen nicht aus, was gegen Ende überhand nimmt: Langeweile. Die beim Showdown in Verärgerung umschlägt.

Und was bleibt? Ein epigonenhaftes, nur selten amüsantes Buch, das an seine Vorbilder nicht heranreicht, rund um eine Thematik, die andere weitaus besser, einfühlsamer, echter bearbeitet haben.

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