Tschick. Roman.
Wolfgang Herrndorf, Rowohlt Berlin, 2010
Hinreißend
Maik Klingenberg hält sich selbst für einen Langweiler, trägt eine Fünf-Euro-Jacke von Humana, obwohl sein Vater (noch) reichlich Kohle hat, und ist schrecklich in die bildhübsche Tatjana verliebt, für die er ein riesiges Beyoncé-Poster gemalt hat - aber Maik gehört zu den wenigen, die zur Geburtstagsparty am ersten Tag der Sommerferien nicht eingeladen sind. Ebenfalls ohne Einladung blieb der schweigsame Deutschrusse Andrej Tschichatschow, genannt Tschick, der seit ein paar Wochen Maiks Mitschüler ist, häufig alkoholisiert zum Unterricht erscheint, aber tolle Leistungen abliefert, wenn er mal nüchtern kommt.
Weil der Vater für zwei Wochen mit der Assistentin auf "Geschäftsreise" ist, wird der vierzehnjährige Maik die ersten Ferientage alleine verbringen, so glaubt er wenigstens - bis Tschick bei ihm auftaucht, zunächst auf einem klapprigen Fahrrad und dann in einem geklauten Lada Niva. Die Annäherung der beiden verläuft rasch, und schon am zweiten Tag machen sie sich mit dem Auto auf den Weg in die Walachei, um Tschicks Verwandte zu besuchen. Dass es die Walachei wirklich gibt, gehört zu den vielen Überraschungen, mit denen Maik im Verlauf der kommenden Woche konfrontiert wird, aber die größte besteht darin, dass die meisten Menschen einfach nur nett sind - und dass Maik längst nicht so uncool ist, wie er von sich glaubt. Allerdings erreichen sie die Walachei nicht, aber das ist sowieso Nebensache.
"Tschick" ist warmherzig, einfühlsam, irre rasant, glaubhaft, überraschend, fein geschrieben und einfach unglaublich komisch. Als Maik irgendwann am Ende der Odyssee-Woche im Krankenhaus eine Telefonnummer wählt, um die fiktive Tante anzurufen, führt er - nachts um vier - ein irrwitziges Gespräch mit jemandem, der schließlich begreift, dass es sich um ein Fake-Telefonat handelt. Nur für diesen unfassbar komischen Dialog - Hut ab alleine für die brillante Idee! - ist das Buch den Kauf wert. Das gilt allerdings für jede einzelne Seite. "Tschick" macht von Anfang bis Ende Spaß, ist ein melancholisch-amüsant-kafkaesker Sommerroman, ein echtes Wohlfühlbuch, das einem, um es in Maiks Worten zu sagen, schlicht den Stecker zieht.
Es gibt nur ein kleines Aber: Hin und wieder stimmt die soziokulturelle Verortung der wunderbaren Dialoge nicht ganz. Dass ein Vierzehnjähriger die Band "Steppenwolf" kennt beispielsweise. Ansonsten verdient dieser hinreißende Roman den Erfolg auf ganzer Linie.