Tod eines Kritikers.
Roman.
Martin Walser, Suhrkamp 2002

 

Gibt es das "gute", gibt es das "schlechte" Buch? Ist es gerechtfertigt, daß sich lautstarke Rezensenten medienwirksam zum Richter über die Qualität von Literatur aufschwingen und ihre selbstdarstellerische Kritik inszenieren, als alles entscheidendes Tribunal über Autor, Werk *und* Leser? Ist das alles nur lächerlich, oder wird damit der Sache gedient?

Marcel Reich-Ranicki, der in "Tod eines Kritikers" André Ehrl-König heißt (die vordergründige Metaphorik einiger Kunstnamen in Walsers Buch ist kaum zu übertreffen), vernichtet in seiner erfolgreichen Literatursendung "Sprechstunde" das neueste Buch von Hans Lach. Lach hat zuvor fragmentarische Werke vorgelegt, vor allem das als "Notizen" bezeichnete Buch "Vom Wunsch, ein Verbrecher zu sein". "Mädchen ohne Zehennägel" muß in der Sendung gegen das neueste Werk von Philip Roth antreten - und wird zum schlechten Buch gekürt. Auf der anschließenden Party, zu der Lach erscheint, ohne eingeladen zu sein, kommt es zum Eklat. Ehrl- König verschwindet, sein blutiger Kaschmirpullover wird gefunden, Hans Lach als Mordverdächtiger verhaftet. Der Autor Michael Landolf, Ich-Erzähler des Romans, wird zum Ermittler, versucht als einziger, die Unschuld Lachs zu beweisen, während alle anderen Beteiligten davon ausgehen, daß der Mörder gefunden sei, und in langen Verhören und Gesprächen die Figur Ehrl-Königs skizzieren, hochstilisieren, über das hinaus, was sie ohnehin darstellt, allerdings mit dem kaum unterschwelligen Tenor, über den Verlust nicht sonderlich traurig zu sein - sondern eher erleichtert. Die Hintergründe werden offenbar, die Hintermänner demaskieren sich, es wird darum gebuhlt, derjenige zu sein, der die letzten Geheimnisse des Kritikers kennt, die schillernde Figur entwickelt, geschaffen hat, das Szenario verdeutlicht die Lächerlichkeit von Medienprominenz auf eine Art, die in sich satirisch ist und keiner satirischen Aufarbeitung bedürfte.

Bis zum wenig überraschenden Ende des Buchs beschäftigt sich Walser hauptsächlich mit der Rolle, die die Literaturkritik in Mediendeutschland spielt; die Betrachtung gipfelt in einem kurzen Science-Fiction-Essay, der für die Zukunft eine Form von Literaturkritik entwirft, bei der Leser nicht mehr lesen, und Autoren nur noch um die Aufmerksamkeit der Kritiker buhlen, sonst nichts.

Aber die Ausgangsfrage bleibt unbeantwortet. Kritik ist Meinung, auch dann noch, wenn sie zur Show, zur Inszenierung wird, und der vermeintliche Machtmißbrauch, der durch die erfolgreiche Kritikshow möglich wird, existiert nicht, da er unmittelbar an die Glaubwürdigkeit des Kritikers gekoppelt ist (die allerdings, und das kann als Erfolg des Buches gewertet werden, MRR jetzt massiv untergräbt). Für die vermeintliche Unglaubwürdigkeit Ehrl-Königs (bzw. Reich-Ranickis) liefert Walser aber keine Beweise oder Indizien, ganz im Gegenteil läuft er selbst Gefahr, als Kritiker unglaubwürdig zu sein, weil er erstens Autor, also verletzlicher Betroffener ist und zweitens bei der Figurenzeichnung Ehrl-Königs auf Mittel zurückgreift, die geeignet sind, die Kunst- *und* Realfigur zu diskreditieren, ohne sich auf die Kritik selbst zu beziehen - insbesondere, weil er Eigenschaften Ehrl-Königs satirisch beleuchtet, die in keiner Beziehung zum Thema der Geschichte stehen, etwa seine Größe, seine Sprache, seinen Umgang mit Frauen.

Daß die Ausgangssituation des Romans wenig glaubwürdig ist, kommt hinzu - es gibt keine Leiche, es gibt keine wirklichen Indizien für einen Mord, nur den blutigen Pullover und einen verschwundenen Kritiker; warum Lach überhaupt verhaftet wurde, fragte ich mich sehr lange. Daß sich Marcel Reich-Ranicki durch diesen Roman beleidigt fühlt, ist nachvollziehbar, denn die Auseinandersetzung findet auf einer recht unsubtilen Ebene statt, jedenfalls teilweise. Antisemtische Tendenzen oder Äußerungen allerdings habe ich nirgendwo finden können; MRRs Aussprache karrikieren auch zahlreiche Kabarettisten, ohne sich ähnlichlautende Vorwürfe anhören zu müssen. Es gibt eine Stelle, an der diskutiert wird, ob es einen Unterschied macht, wenn in Deutschland ein Jude oder ein Nichtjude getötet wird, aber das ist es auch schon. Der Roman transportiert ansonsten eine ganz eigene, aber walsertypische Sprache, fließt an einigen Stellen ganz wunderbar, wissensreich und hoch intellektuell, während andere wieder ermüden, in Selbstwiederholung schwelgen. Es ist ein interessantes Buch darüber, wie Autoren Kritiker sehen mögen, nicht mehr, nicht weniger. Eine etwas zu persönlich geratene Satire darüber, wie jene über die Maßen erfolgreicher sind als die anderen, von deren Werk sie profitieren, ohne das sie überhaupt nicht bekannt wären - denn als Autor haben sowohl André Ehrl-König, als auch Marcel Reich-Ranicki nur wenig vorgelegt, das selbst die Bezeichnung "Literatur" verdient hätte.

Kultur ist Ware - Bücher sind Produkte, die einer Käuferschar harren. Anders, als die Zahnpasta, die die Zähne nicht *wirklich* weißer macht, als der PS-starke Bolide, der seine Endgeschwindigkeit nicht erreicht, läßt sich jedoch ein objektives Urteil über die
Produktqualität nicht fällen, oder nur ausnahmsweise. Leser aber sind ob des Angebots auf Empfehlungen angewiesen - anders wäre eine Auswahl kaum mehr zu treffen, und es spielt keine Rolle, wer die Empfehlung ausspricht; niemand ist verpflichtet, ihr zu folgen oder sie zu mißachten, ob sie nun vom eloquenten Fernsehkritiker kommt oder vom Saufgefährten in der Stammkneipe. Walser bricht eine überflüssige Lanze für das Weicheitum der deutschen Künstler (übrigens bereits in Fortsetzung - die Figur des Rezensenten-Stars Ehrl-König entstand in der Novelle "Ohne einander", die von Ranicki zerrupft wurde), für das überzogen mütterliche Hegebedürfnis, das Autoren ihren Werken gegenüber empfinden, ohne daß sich dies anhand der *subjektiven* Produktqualität begründen ließe. Er stigmatisiert die Kritiker, und er verkennt dabei, daß es die Autoren selbst sind, die aktiv an der Zeugung dieser Spezies beteiligt waren.

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