Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war. Roman.
Joachim Meyerhoff, KiWi-Taschenbuch 2015

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war

Nett

Eigentlich ist das Etikettenschwindel: Da steht zwar "Roman" auf dem Cover, doch zwischen den Buchdeckeln verbirgt sich eine deutlich autobiografische Erzählung, die ziemlich episodisch daherkommt. Sie erzählt von Meyerhoffs Kindheit und Jugend in der kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtung "Hesterberg" in Schleswig, wobei er dort kein Insasse oder Patient war, sondern auf dem Gelände wohnte, weil der Vater, Hermann Meyerhoff, die Einrichtung leitete - ein Ensemble aus mehreren Häusern auf einem gewaltigen Grundstück, zu Hochzeiten von über tausend Menschen bewohnt.

Im Fokus der Erzählung liegen - selbstverständlich - das originelle Umfeld, die Beziehung zum sehr eigenwilligen Vater und, damit verbunden, die Familiengeschichte der Meyerhoffs. Der kleine Joachim, der seine Geschwister nur als den " mittleren" und den "älteren" Bruder bezeichnet, leidet allerdings selbst auch an irgendeiner Störung, die ihm - im letzten Drittel des Buchs - einen kurzen Aufenthalt in einer der hauseigenen Stationen verschafft.

Hiervon abgesehen handelt es sich zuvorderst um eine Vater-Sohn-Geschichte. Der gelehrte und im Wortsinn äußerst wissbegierige, bücherverschlingende Vater, der allerdings handwerklich und motorisch eine Null ist, wird vom Sohn verehrt und geliebt, aber jene Form von Nähe, die in "normaleren" Familien vorkommt, entwickelt sich nicht. Das veranschaulichen die in lockerem Zusammenhang stehenden und auch locker erzählten Episoden, die oft etwas sehr Anekdotisches haben, zuweilen aber ein wenig in die Beliebigkeit abdriften. Dramatik oder dramaturgische Entwicklungen fehlen weitgehend - Meyerhoff erzählt eben von seiner Kindheit, überspringt dann einen längeren Auslandsaufenthalt, weil er den bereits belletristisch verarbeitet hat, lässt ein paar weitere Jahre aus - und endet mit dem Abschied vom Vater, der schließlich einem Krebsleiden erliegt.

Meyerhoff erzählt anschaulich, skizziert schöne Bilder, findet die richtige Sprache, zeichnet die Figuren plastisch (nach) und demonstriert durchaus auch einen Sinn für Dramatik, aber unterm Strich ist während dieser Jahre, die das Buch wiedergibt, einfach nicht sonderlich viel passiert. Der Hund ist gestorben, der Ministerpräsident kam zu Besuch, es gab einen Schneesturm und Vater Meyerhof versuchte sich erfolglos darin, Segler zu werden. Das - und einige mehr - sind hübsche, zuweilen auch sehr traurige kleine Geschichten, die natürlich vor allem die innerfamiliäre Entwicklung zeigen, eingesponnen in Begegnungen mit den bemerkenswerten Bewohnern der Einrichtung. Doch es bleibt eben alles sehr anekdotisch, und in Konfliktmomenten, von denen es ein paar gibt, meidet der Autor tiefergehende Betrachtungen, vermutlich nicht zuletzt, um sein ja reales Personal zu schonen. So erfährt man recht viel darüber, was die Familienmitglieder alles tun und sagen, während der regendurchnässte Ministerpräsident unter der Dusche steht und seine Bodyguards im Keller Tischtennis spielen, aber als es um den Unfalltod des Bruders oder die Seitensprünge des Vaters geht, verknappt sich das drastisch. Dabei hat etwa die Stoltenberg-Episode inhaltlich kaum eine Bedeutung. Und dieses Ungleichgewicht, dieser Verzicht im Persönlichen, verleiht dem Buch etwas ziemlich Oberflächliches.

Trotzdem macht es Spaß, die Geschichte(n) zu lesen, vom originellen Miteinander in der Einrichtung zu erfahren, und wenn es um die Selbstreflexion des Erzählers geht, gibt es auch so etwas wie Tiefgang. Bleibt ein sympathisches, gut geschriebenes, unterhaltsames, nostalgisches Buch, dem aber leider eine entscheidende Komponente zu fehlen scheint. Also: Nett.

Das Buch bei Amazon

zurück

pfeil Übersicht: Tom Liehr

Nachttankstelle

Tom Liehrs aktuelle Veröffentlichung:

NACHTTANKSTELLE.
ROMAN.
rororo, 28. August 2015


Das Buch bei Amazon

 

©Tom Liehr - http://www.tom-liehr.de - Kontakt