Onno Viets und der Irre vom Kiez. Roman.
Frank Schulz, Galiani 2012


Onno Viets und der Irre vom Kiez

Nur Schulz.

Sollte man ein Organigramm der "jüngeren" deutschsprachigen Literatur (jünger = Autor ist unter achtzig) anfertigen, gäbe es irgendwo ganz unten die ChickLit- und Comedyautoren, gefolgt von den Fantasy-Epigonen, darüber dann jene, die sich redlich bemühen, Themen auch - wenigstens marginal - intellektuell zu besetzen (Haas, Steinfest), ein, zwei Stufen höher energische und wortgewandte Rebellen wie Duve, Zeh und Özdogan, schließlich die Bauchmenschen mit viel Kopf, als da wären: Glavinic, Stavaric, Herrndorf, Berger und so weiter. All dem folgte eine Weile nichts, und während man sich noch umschaute, begegnete man plötzlich und nahezu unerwartet: Frank Schulz. Der Mann mit dem simpelsten Echt- und zugleich Künstlernamen markiert einen Punkt auf der Literaturlandkarte, von und zu dem es keine Verbindung gibt, denn nur Schulz schreibt wie Schulz. Er stellt eine eigene Qualität dar, eine Kategorie. Deshalb ist es natürlich äußerst subjektiv, ihn über alle anderen zu stellen, und ich bin für Argumente hiergegen jederzeit offen. Allein, gehört habe ich bisher noch keines. Ob die überbordende "Hagener Trilogie" rund um den Verweigerer Bodo "Mufti" Morten oder zuletzt die hinreißende Anthologie "Mehr Liebe" - es gibt deutsche Autoren und es gibt Frank Schulz. Punkt.

Onno Viets ist Anfang fünfzig und besitzt Superkräfte. Er kann beispielsweise endlos sitzen, ohne dabei zu ermüden, und er verfügt über jene Form von Charme, die vor allem nicht so blitzgescheite Gestalten schnell für ihn einnimmt - beides gestählt im "Plemplem", der Kneipe, die eines von Viets' Pleite-Projekten war. Onno ist nämlich meistens arbeitslos und das Faktotum der montäglichen Ältere-Herren-Tischtennisrunde, die er mit seinem originellen Spielstil und den irgendwie auch mit Superkräften spät errungenen Gewinnen beherrscht, ohne das je zu thematisieren - denn derlei ist Onnos Sache nicht. Durchaus aber Edda, die hinreißende, ihm seit Jahren zugewandte Ehefrau, die er oft notbelügt, wohl wissend, dass sie ihn immer durchschaut. Viets hat eine Hühnerkopfphobie und eine bemerkenswerte Beobachtungsgabe - kurzum, er ist ein netter Verlierer, weshalb ihn ein Kumpel aus der TT-Runde, seines Zeichens Rechtsanwalt, nämlich Dr. jur. Christopher Dannewitz, Ich-Erzähler des Romans, auch seit Jahren über Wasser hält, und ihm, als Onno jetzt auf die Idee kommt, Privatdetektiv zu werden, einen Job zuschanzt. Der prollige Musiktitan Nick Dolan a.k.a. Harald Herbert Queckenborn meint, von der temporären Geliebten, einer mental schallgedämpften, aber äußerst sehenswerten "Burlesque-Tänzerin" namens Fiona Popo betrogen zu werden, und engagiert Viets indirekt, diese zu beschatten. Das macht Onno auch. Der Auftrag führt ihn zunächst nach St. Pauli und kurz darauf nach Mallorca. Viets trifft Fiona Popo und tatsächlich auch ihren Geliebten, aber dann kommt alles ganz anders. Onno fliegt zwar nicht auf, wird aber von "Wie süß ist das denn"-Fiona und ihrem bulligen Lover, Tibor "Händchen" Tetropov, kurzerhand vereinnahmt, in die Residenz Dolans, die als Liebesnest dient, eingeladen und - den Superkräften sei Dank - zum Vertrauten, gar Freund auserkoren. "Händchen" Tetropov, schlagkräftige, bauernschlaue und ghettogestählte rechte Hand des Hamburger Kiez-Oligarchen, schließt Viets ins Herz und weiht diesen in intimste Geheimnisse ein. Aber Onno sitzt das Finanzamt im Nacken, also schießt er doch noch, obwohl er das Zusammensein mit dem merkwürdigen Paar genießt, das entscheidende Beweisfoto und händigt es später dem Auftraggeber aus. Vom daraus entstehenden, schmerzhaft amüsanten Gewaltchaos erzählt Schulz zeitversetzt in einer Parallelhandlung.

Mit leichter Hand wechselt der Autor von saukomischen Dialogen in - wie immer - perfekter, authentischer, zugleich äußerst origineller Diktion zu bitteren Erzählungen aus der Vergangenheit seiner Helden, zeichnet jede Figur in kristallklarer Schärfe, packt mit seinem unnachahmlichen Stil und einer fast schon überpräzisen Beobachtungsgabe. Die Handlung, zwar keineswegs nebensächlich, aber auch nicht zentrales Element der Erzählung, sackt zwar hin und wieder etwas durch, mündet dennoch schließlich in ein furioses Ende. Den eigentlichen Genuss macht jedoch, und so sollte es schließlich sein, das Wie aus.

Da sind die anderen, dann ist da eine Weile nichts, und schließlich: Schulz. Nur Schulz.

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