Imperium. Roman.
Christian Kracht, KiWi, Februar 2012

Imperium

Intelligentes Lesevergnügen

Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts griffen im Deutschen Reich Vegetarismus und Nudismus um sich, zumeist in religiös geprägten Varianten - Zielsetzung war unter anderem, eine größere Gottesnähe zu erzielen, indem man sich ernährungsseitig reduzierte, aber auch alternative Heilmethoden erprobte. Zugleich erreichte die seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wachsend erfolgreiche "Lebensreform"-Bewegung ihren vorläufigen Höhepunkt - Naturnähe und Natürlichkeit vor allem als Ausdruck der Frömmigkeit erlebten ihren Klimax rund um den Jahrtausendwechsel. Eines ihrer Ergebnisse kennen wir heute noch - die "Reformhäuser".

Der junge Deutsche August Engelhardt, hin- und hergerissen zwischen den diversen Gurus der neuen Strömungen, beschließt, die Seiten zu wechseln, und erfindet den Kokovorismus, also eine Lebensweise, deren Anhänger sich ausschließlich von Kokosnüssen ernähren und nackt durch die Gegend laufen. Der äußerst naive junge Mann meint nämlich, herausgefunden zu haben, dass die Frucht nicht nur alle Bedürfnisse des Körpers befriedigt, sondern allein aufgrund der Höhe jener Bäume, an denen sie wächst, auf besondere Weise göttlich, wenigstens gottesnahe zu sein. Da ihm im Reich das Ausleben seiner simplen Philosophie versagt bleibt, er sogar, ganz im Gegenteil, viel Spott und Häme erntet, nutzt er ein schmales Erbe, um nach Deutsch-Neuguinea aufzubrechen, dort eine Kokosnussplantage zu kaufen und Guru seines höchsteigenen Ordens zu werden - des "Sonnenordens", auch "Aequatoriale Siedlungsgemeinschaft" genannt. Schon der Weg in die Südsee - nach Neupommern - gestaltet sich schwieriger, als zuerst angenommen, und der Naivität Engelhardts ist es geschuldet, dass er weit vor dem Ziel einen Teil seiner Barschaft verliert. Doch er ist unbeirrbar, erreicht schließlich Herbertshöhe, die Hauptstadt Neupommerns auf einer Insel im Bismarck-Archipel. Einer windigen Firmenchefin, die zugleich Verwalterin der Plantagen ist, kauft er - für deutlich zu viel Geld - die Insel Kabakon ab, fortan sein Refugium als Sektenguru, Kokovore und, aus der Sicht der durchaus kooperativen Eingeborenen, Faktotum. Doch der Orden bleibt so erfolglos wie Engelhardts Versuche, die weit entfernten Deutschen von seinen Kokosprodukten zu begeistern; er verschuldet sich immer mehr, leidet an Mangelernährung, begegnet weiteren zwielichtigen Gestalten und nähert sich täglich der unausweichlichen Paranoia.

Christian Kraft hat diese Geschichte in einem Duktus verfasst, der viel Zeitcolorit zu vermitteln scheint, bricht diesen jedoch munter ironisch, verbunden mit viel Empathie für seinen tragischen Helden. Aus Sicht eines auktorialen Erzählers, ganz im Stil der Zeit, wird die Biografie der übrigens - wie auch das restliche Personal - authentischen Figur zu einer Mischung aus Parabel, zeitgeschichtlichem Dokument, kritischer Aufarbeitung und Burleske. Das liest sich überaus amüsant, sogar sehr spannend, und verblüfft mit Originalität, Stil und Wortwahl. Anders als beispielsweise T. C. Boyle, der nicht wenige historische Biografien in Romane gegossen hat, nimmt sich Kracht subtil zurück, und vermeidet dadurch, aus seinem August Engelhardt einen Don Quijote werden zu lassen.

Ein wirklich wunderbarer, im Wortsinn eigenartiger Roman, und ein großes Lesevergnügen.

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