Ich und die Menschen. Roman.
Matt Haig, Deutscher Taschenbuch Verlag, April 2014
Weil der britische Mathematiker Andrew Martin die "Riemannsche Vermutung" bewiesen hat, schicken die Vonnadorianer einen der ihren auf die Erde, um alle Beweise für diesen Beweis zu vernichten. Denn mit der Entschlüsselung dieses größten mathematischen Rätsels - es geht um Primzahlen - wären die Menschen dazu in der Lage, einen so gewaltigen technologischen Entwicklungssprung zu machen, dass sie zur Bedrohung für die restliche Galaxis würden. Wo man die Menschen für gewalttätig und missgünstig hält. Irgendwann nämlich war schon einmal ein Vonnadorianer auf dem Planeten und ist exakt zu dieser Schlussfolgerung gekommen.
Im nackten Körper seines inzwischen beseitigten Originals kommt nun also das Double auf die Erde, um die Position des Professors einzunehmen, die Mitwisser zu finden und zu liquidieren, bevor sie über die Entdeckung plaudern können. Dazu gehören vor allem Martins elegante Frau und der eigenbrötlerische, pubertierende Sohn. Doch der Ersatzprofessor weiß anfangs wenig, lernt immerhin die englische Sprache in Minutenschnelle durch die Lektüre einer Ausgabe der "Cosmopolitain", weiß aber auch danach noch nicht viel (ihm fehlt beispielsweise noch das Wissen, das man nicht nackt in Tankstelleshops Frauenmagazine lesen sollte). Im Buch begleitet man das Alien bei seiner Erforschung der menschlichen Eigenarten, und obwohl relativ vorhersehbar ist, wie das ganze enden wird, macht das auch überwiegend Spaß. Matt Haig macht sich auf sehr liebevolle Weise über den Hang der Menschen zu Ordnung und rechtwinkliger Geometrie lustig, aber es geht durchaus auch in die Tiefe.
"Ich und die Menschen" ist keine SF-Geschichte, sondern eine Metapher - und ein Manifest dafür, die Strukturiertheit und Egozentrik des menschlichen Daseins zu hinterfragen, die Schönheit im Detail zu erkennen, den Mitmenschen vorurteilsfrei und liebenswürdig zu begegnen und das Leben zu genießen. Das funktioniert über weite Strecken auch ganz vorzüglich, aber gegen Ende wird es dann ziemlich pathetisch und fast ein bisschen peinlich. Bis dahin allerdings hat man es mit einem witzigen, schlauen und recht originellen Buch zu tun, obwohl die Idee nicht ganz neu ist.
Vom letzten Drittel abgesehen haben mir zwei Aspekte gewisse Probleme bereitet: Mathematik spielt in diesem Buch eine wichtige Rolle, aber die Anmerkungen zum Thema überschreiten selten Laienniveau - und die Vorlesung, die der falsche Andrew Martin über die "Drake-Gleichung" hält, mit der man vermeintlich die Wahrscheinlichkeit außerirdischen Lebens ermitteln kann, stinkt ganz fürchterlich ab, wenn man David Brins großartigen Roman "Existenz" gelesen hat, in dem es um eben dieses Thema geht. Und dann gibt es da kurz vor Schluss eine Liste aus 97 Positionen, die mich wirklich geärgert hat. Mit einer ganzen Wagenladung Holzhämmer bewaffnet versucht der Autor an dieser Stelle, die Botschaft seines Romans auch dem merkbefreitesten Leser einzuimpfen, und, klar, es mussten aus bestimmten Gründen 97 Positionen sein, aber trotzdem hat sich Haig hier keinen Gefallen getan.
Unterm Strich ist "Ich und die Menschen" jedoch ein liebenswürdiger, lebensbejahender und zuweilen verblüffend kluger Roman, dessen Lektüre man durchaus nutzen kann, um das eigene Verhalten zu überdenken. Oder sich wenigstens für ein paar Stündchen gut unterhalten zu lassen. Je nachdem.