Gott bewahre. Roman.
John Niven, Heyne 2011

Gott bewahre

Netter Versuch

Nach 500 Erdenjahren, die einer Woche im Himmel entsprechen, kehrt Gott von einem Angelurlaub zurück und stellt fest, dass seine Schöpfung ziemlich aus den Fugen geraten ist. Kurzerhand wird der charismatische, blonde, blauäugige, musikalisch extrem talentierte Jesus wieder zu den Lebenden geschickt, um Satans inzwischen exzellente Bilanzen ein wenig gerade zu rücken. Vor allem aber soll mit den christlichen Mythen und ihren Auswüchsen aufgeräumt werden, zuvorderst mit den von Moses verfälschten Geboten, die eigentlich nur aus einem einzigen bestanden: Seid lieb.

Jesus geht es lässig an, kifft gerne (Gott übrigens auch), mag Indie-Rock und lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Er schart, einunddreißigjährig und in New York lebend, einige Randexistenzen um sich, hilft Obdachlosen, Junkies, Alkies, HIV-Infizierten, Prostituierten. Eigentlich arbeitet er mit seinen abgerissenen Kumpels auch an einem Album, aber der Messias kommt mit seinem Auftrag nicht so recht aus den Puschen. Da startet der Sender ABN die dritte Staffel der Castingshow "American Pop Star". Jesus, der sich JC nennt, nimmt am Casting teil, ohne je einen Hehl daraus zu machen, Gottes Sohn zu sein, und wird prompt nach L.A. eingeladen, um die Freak-Quote zu erfüllen. Das Erster-Klasse-Flugticket wird zu Bargeld gemacht, die Truppe kauft sich einen alten Greyhound-Bus und macht sich auf den Weg, sammelt noch hier und da ein paar Loser ein, um schließlich die Suite im Beverly-Hills-Nobelhotel in eine Art Hippiecamp umzuwandeln.

Steven Stelfox heißt der selbstverliebte, geldgeile, unermüdlich Popballaden produzierende, im Wortsinn asoziale Juryvorsitzende und APS-Rechteinhaber, der während der folgenden Wochen mit ansehen muss, wie seine vorhersehbare, nihilistische Konsumterrorshow von JC ausgehebelt und als Plattform genutzt wird. Im Halbfinale, das der Gottessohn praktisch mit links erreicht, kommt es zum Eklat, aber Jesus hat inzwischen so viele Menschen von sich überzeugt, dass es unmöglich scheint, ihn einfach aus der Show zu werfen ...

Wer die ersten beiden Romane von Niven kennt, wird von der brachialen Dialogsprache nicht überrascht werden. Vor allem, wenn es um Christen - vorzugsweise Katholiken - und ihre Repräsentanten in Rom geht, zieht JC mächtig vom Leder, denn mit "Seid lieb" hat das, was die kleingeistigen Kirchenleute und ihre Anhänger so fabrizieren, nicht mehr allzu viel zu tun. Das gipfelt darin, dass der Heiland vor Millionen Zuschauern erklärt, der Papst müsste eigentlich im Knast sitzen - und nicht in Goldbrokat gewandet auf einem Nobelstuhl in seinem Palast im Vatikan.

Damit hat es sich aber auch schon. Wer ein Skandalbuch erwartet, das mal eben so alle Mythen aushöhlt, wird enttäuscht werden. Es gibt einen hübschen Dialog, als JC mit einem Pastor schwätzt, der wiederum für sich und seine Religion "Respekt" einfordert. "Respektieren?", fragt Jesus erstaunt zurück. "Warum soll ich deine blöde Scheiße respektieren?" Recht hat er, aber leider versandet die Religionskritik auf dieser Ebene, bewegt sich argumentativ auf einem Niveau, das zumindest Menschen, die sich ein wenig mit dem Sujet auseinandergesetzt haben, eher zu einem etwas müden Lächeln bewegen dürfte.
Niven hat sich insgesamt etwas verhoben mit der Thematik, aber auf sympathische Weise - "Gott bewahre" ist ein sehr lesbarer, vergnünglicher, spannender Roman, unterm Strich extrem lebensbejahend, häufig sehr klug, manchmal erschütternd unlogisch (so kann man kaum ernsthaft behaupten, dass es in den 1.500 Jahren vor Gottes Angelausflug deutlich besser lief), aber es ist kein Rundumschlag gegen den religiösen Wahnsinn, zumal Niven auch noch einige Nebenkriegsschauplätze eröffnet, etwa die unfassbare Konsumorientierung vorzugsweise der Amerikaner, das schmierige Musikbusiness, die fortwährende Intelligenzbeleidigung, die sich da "Fernsehen" schimpft - und noch einiges mehr. Das macht, um nicht falsch verstanden zu werden, wirklich großen Spaß, wobei aus meiner Sicht der vierte Teil des Buches, in dem JC "American Pop Star" energisch durcheinanderwirbelt, das meiste Vergnügen bereitet. "Gott bewahre" ist natürlich ein kirchen- und religionsfeindliches Buch, aber in der Hauptsache ein Manifest gegen den Mainstream. Besonders amüsant wird es, wenn versucht wird, Jesus unter Druck zu setzen, der mit seiner unerschütterlichen, fröhlich-freundlichen Lässigkeit gegen derlei vollständig gefeit ist.

Fazit: Netter Versuch, meistens sehr unterhaltsam, mäßig provokant, hin und wieder recht vorhersehbar und schwarz-weiß-zeichnend, und das Ende ... na ja. Ein lustiger Seitenfresser, aber unterm Strich Religionskritik light, die sogar Christen, die etwas entspannter mit ihrem Glauben umgehen, nicht allzu sehr vor den Kopf stoßen dürfte. Interessant allerdings wäre die Reaktion auf eine islamkritische Fassung des Buches.

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