Wenn das der Führer wüsste. Roman.
Otto Basil, Milena Verlag 2010

Wenn das der Führer wüsste

Romane, die mit der Idee spielen, dass das "Dritte Reich" den Zweiten Weltkrieg überlebt, gar gewonnen haben könnte, gibt es nicht wenige - zu den bekanntesten gehören "Vaterland" von Robert Harris und "Das Orakel vom Berge" von Philip K. Dick.
Der 1901 geborene und 1983 verstorbene österreichische Journalist, Publizist und Schriftsteller Otto Basil, der während der Nazizeit mit einem Schreibverbot belegt war, hat 1966 die Dystopie "Wenn das der Führer wüsste" veröffentlicht, mit einer für damalige Verhältnisse bemerkenswerten Startauflage von 25.000 Exemplaren. Nach einem kurzen Boom und exzellenter Rezeption durch die Presse geriet das Buch allerdings in Vergessenheit, bis der in Wien ansässige Milena-Verlag im Jahr 2011 die Neuveröffentlichung nahezu in Originalausstattung herausgab.

Wir schreiben das Jahr 196-, das Reich hat den Krieg gewonnen, erstreckt sich von westlichen Asien über Afrika bis zu den ehemaligen Vereinigten Staaten, die quasi in Vertretung vom Ku-Klux-Klan verwaltet werden. Die Atombomben sind nicht auf Japan, sondern auf Großbritannien gefallen, und es waren deutsche Bomben. Inzwischen gibt es bewaffnete Satelliten und Lasergewehre, aber niemand im Reich scheint genau zu wissen, was die "gelben Teufel", die einzigen verbliebenen Gegner, derzeit planen. Man arbeitet angeblich - wieder einmal - an einer Superwaffe, die mit Antimaterie bestückt sein und zum endgültigen Sieg führen soll. Die jüdische Bevölkerung ist vernichtet, nichtasische Menschen leben in Untermenschenlagern oder als Leibeigene.

Antiheld des Romans ist der aus der Ostmark (vormals Österreich) stammende Erdstrahlensucher und Pendelgänger Albin Totila Höllriegl, vermutlich Mittdreißiger, der unglücklich in die in der Nachbarschaft lebende, kompakte und promiske Volksheldin Ulla von Eycke verliebt ist, die seine Annäherungsversuche aber barsch und herrisch zurückweist. Höllriegl wird für einen Auftrag nach Berlin gerufen, wo er einen obskuren, anscheinend jüdischstämmigen Mann trifft, der im Sterben liegt und allerlei offenkundigen Unsinn darüber erzählt, wie sehr er das Nazireich beeinflusst hat. Kurz darauf stirbt der Führer, dessen Beisetzung in der Nähe von Höllriegls Wohnort stattfinden soll, einer Ortschaft namens Heydrich am Rand des Kyffhäuser-Gebirges im Ostharz. Nachfolger wird ein Ivo Köpfler, seines Zeichens Hardliner und Anführer der "Werwölfe". Dass es innerhalb der Partei Fraktionen gibt, wird Höllriegl und damit dem Leser erst nach und nach klar, wie auch die Tatsache, dass es im faktischen wie metaphorischen Untergrund lebende Oppositionelle gibt, die allerdings überwiegend sinnarme wissenschaftliche Abhandlungen verfassen. Oder dass der Führer sehr wahrscheinlich von Köpflers Schergen oder gar ihm selbst ermordet wurde. Was wenig daran ändert, dass Hitler posthum von der stark eingedampften Kirche Christi Position innerhalb der Dreifaltigkeit zugebilligt wird, oder fortan jeder deutsche Mann offiziell "Adolf" als zweiten Vornamen tragen muss.

Das Geschehen während der knapp einwöchigen Odyssee, die dem Leser viel, Höllriegl aber praktisch alles abverlangt, lässt sich kaum in wenigen Sätzen wiedergeben. Es ist absolut wahnwitzig, dabei aber enorm stimmig. Basil trifft den mythologisch-esoterisch geschwängerten Naziduktus vortrefflich, macht nie auch nur einen Halbschritt aus seiner Hauptfigur heraus, die anfangs in trotteliger, fundamental überzeugter Gutgläubigkeit - Höllriegl ist der klassische Mitläufer -, später dann zunehmend skeptisch, aber immer noch beseelt vom nationalsozialistischen Glauben und dem "Die Partei denkt für dich!"-Mantra ihre absurden Hoffnungen vor sich herträgt. Mit großer und umso erschütterndender Selbstverständlichkeit parliert Höllriegl über die "Äfflinge", lauscht den ganz erstaunlichen (überwiegend amüsanten, allerdings manchmal in der Ausführlichkeit etwas langweiligen) Radiomeldungen, während die Welt um ihn herum und damit das Reich (oder umgekehrt) zugrundegeht. Und, ja, es gibt tatsächlich so etwas wie eine Liebesgeschichte in diesem Buch.

"Wenn das der Führer wüsste" ist eine akribisch und detailgenau komponierte Erzählung, eine präzise und absolut authentisch wirkende Skizzierung des Dritten Reichs in den Sechzigern, hätte es bis dahin Bestand gehabt, was glücklicherweise so nicht passiert ist. Dieses Reich ist zerfressen, abergläubisch, morbide und ohne Substanz, während die Menschen darin den Zerfall ebenso zu fürchten scheinen wie den Fortbestand. Letztlich ist eine Welt entstanden, zu der es ohne Totalvernichtung keine Alternativen mehr gäbe.

Otto Basils unglaublicher Roman ist keine leichte Lektüre, kein Buch, das man eben so mal wegliest, es steckt voller Andeutungen, Rätsel und Querverweise, aber es ist zugleich äußerst amüsant, bitterböse und extrem lakonisch. Ich habe Robert Harris gelesen und auch Philip K. Dick, aber diese Variante der Thematik ist nach meinem Dafürhalten die beste.

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