Arztroman. Roman.
Kristof Magnusson, Kunstmann 2014

Arztroman

Ein Schmarren!

Lieber Kristof Magnusson,

bitte verzeih mir, dass ich Dich einfach duze. Leute, die ich mit ihren Büchern in meine private Welt lasse, kann ich nicht siezen.

Deinen zweiten Roman "Das war ich nicht" habe ich geliebt. Du hast mich vor vier Jahren mit dieser grandios erzählten Geschichte amüsiert, begeistert und fasziniert, und Du hättest es beinahe geschafft, Frank Schulz als meinen deutschen Lieblingsautor wenigstens vorübergehend vom Thron zu stoßen. Leider hat Schulz inzwischen "Onno Vietz" vorlegt und seine Position wieder gefestigt.
Und Du?
Nun.
"Arztroman".

Erst dachte ich, es sei eine Satire, eine literarische Adaption, die - unter anderem - die Vorgaben der Groschenheftromane ironisch bricht, und als ich das erste Kapitel las, diesen fulminant und spannend geschilderten ersten Einsatz Deiner Heldin, der Rettungsärztin Anita, irgendwo in Berlin-Neukölln, wobei sie in Sekundenschnelle die Situation brillant analysiert und in alltäglicher Heldenhaftigkeit genau das Richtige tut, blieb ich vorläufig bei dieser Vermutung. Die Dekoration mit einigen Phrasen und Klischees unterstützte das: "Es fehlte nur noch eines: Zeit", ja. Ein Satz wie aus "GZSZ", aber im Kontext natürlich von ganz anderer Wertigkeit. Ich hoffte - Anitas zu erwartende Rückkehr ins Privatleben auf dem dramaturgischen Fahrplan - anschließend auf die Gegenzeichnung, das Diametrale, die Vertiefung zur Überhöhung, aber ich bekam ...
Ja, was eigentlich?

In bester Siebziger-Tradition, aber fast schon an Martin Walsers 1957 erschienenes und aus gutem Grund verstaubtes "Ehen in Philippsburg" erinnernd, schwafelst Du plötzlich, zwischen personaler und auktorialer Perspektive pendelnd, in ermüdender Erzählsprache von diesem lahmen Muttchen, dieser daherbehauptet-unsicheren, aber immerhin attraktiven Frau, die im Privatleben genau jene Fähigkeit vermissen lässt, die sie im Berufsleben auszeichnet. Die noch nach dem Problem sucht, während andere schon auf der Zielgeraden sind, an ihr vorbei, sie gar missachtend. Die nichts will und zugleich nicht nichts will, durch die eigene Belanglosigkeit mäandert und den Leser in ihren gummistiefeligen Sumpf zieht. Was kein schlechtes Motiv sein muss und auch ganz unterhaltsam sein könnte, wäre es wenigstens packend erzählt. Aber zwischen den Rettungseinsatzkapiteln bricht Dein "Arztroman" komplett ein, wirkt zäh, fast klebrig - und, sorry for that, langweilt! Von der Satireidee hatte ich mich etwa nach einem Drittel verabschiedet, noch auf Witz und Lakonie hoffend, wenigstens eine würdevolle Studie, etwas literarisch Interessantes, das Bild hinter der Skizze, den Kick. Der jedoch reduziert sich auf den Moment der Wut fast am Ende des Buchs, stark gedehnt und zugleich eingepfercht zwischen nicht enden wollenden, nach Provinzmuff riechenden Episoden, die sich dramaturgisch wie sprachlich nur marginal über jenem Niveau bewegen, die das Genre, auf das der Romantitel verweist, vorgibt. Mit Verlaub: Ein Schmarren!

Und dann die Kursiven, damit man Fachbegriffe erkennt - und nicht denkt, zu blöd fürs Buch zu sein. Oder die Exhumierung des vor 35 Jahren (!) von Samuel Shem geprägten Begriffs "Gomers" (mit "S" am Ende - und, lieber Kristof Magnusson, NICHT in Versalien!), der schon so oft zitiert wurde, dass nicht einmal sehr alte Ärzte noch darüber lachen können. Was soll das alles? Was ist die Geschichte, die Du da erzählen wolltest? Mit Verlaub, aber Deine Anita ist eine Marionette, die die fraglos exzellent recherchierten Szenen romantauglich umklammern soll, doch das misslingt ihr gründlich.

Es gibt da einen Absatz, fast am Ende, da legst Du Deiner Hauptfigur den Begriff "Heidisierung" in den Mund, einen Neologismus, der darauf verweisen soll, dass es die Leute mit egoistischen Zielen sind, die Entscheidungen herbeiführen, koste es, was es wolle. Leider trifft das auf den gesamten "Arztroman" zu. Er ist heidisiert, nämlich vom Thema, zu dem Dir einfach keine Geschichte einfallen wollte.

Immerhin, um etwas Gutes zum Abschluss zu schreiben, macht sich das hübsche Cover nett im Regal. Weiß ja keiner, wie sehr mich das Ding genervt hat. Nichts für ungut - und bis zum nächsten Roman! Denn obwohl mir dieser nicht gefallen hat, um es vorsichtig auszudrücken - das Guthaben von "Das war ich nicht" hat er nicht ganz aufgebraucht.

Herzlich,
Tom

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