Der Allesforscher. Roman.
Heinrich Steinfest, Piper 2014 (Ebook-Version)
Alles nichts, oder?
Es empfiehlt sich, vor der Lektüre dieses Romans dessen letzte Seiten aufzuschlagen, also die Anmerkungen des Autors zu lesen. Keine Sorge, darin verrät der Autor fast nichts über den Inhalt, dafür jedoch zwei interessante Aspekte, die Entstehungsgeschichte der Erzählung anbetreffend. Zum einen deutet Steinfest an, dass die Textanteile zu sehr unterschiedlichen Zeiten entstanden sind, und zum anderen erzählt er davon, welche Änderungen auf welchen Rat hin noch vorgenommen worden sind. Es schadet deshalb nicht, diese Anmerkungen zuerst zu lesen, weil sich genau dieser Eindruck ohnehin während der Lektüre einstellen wird: Das Buch ist inkonsistent und leider ziemlich willkürlich.
"Der Allesforscher" beginnt rasant, originell, auf intelligente Weise salopp und verblüffend Steinfest-untypisch: Man begegnet dem vergleichsweise jungen Sixten Braun, der für ein Großunternehmen in Asien unterwegs ist, genauer in der Millionenstadt Tainan. Dort passieren ihm kurz nacheinander drei bemerkenswerte Dinge. Er wird Opfer einer Wal-Explosion, er begegnet der hinreißenden, aber seltsamen Ärztin Lana, und er stürzt mit einem Passagierflugzeug ab. Diesen Absturz überlebt er nur, weil er versehentlich einem anderen Passagier dessen Schwimmweste entreißt. Halb so wild - der andere Fluggast wird auch überleben, jedenfalls vorläufig.
Nach diesem fulminanten ersten Abschnitt kehrt Sixten Braun in die schwäbische Provinz zurück, wird dort zuerst Bademeister und später dann Adoptivvater eines Jungen, der sehr wahrscheinlich Lanas Sohn ist. Dieser Sohn ist mindestens so merkwürdig wie die Mutter, aber auf andere Art. Er kann äußerst geschickt klettern, was Sixten fortwährend an die eigene Schwester erinnert, die mit 23 Jahren beim Bergsteigen tödlich verunglückt ist. Was dann folgt, ist zwar hin und wieder ganz gut erzählt, meistens jedoch nervtötend, wirkt sinnlos konstruiert, und ergibt vor allem keinen Sinn.Ich erlaube mir ein paar Spekulationen. Heinrich Steinfest hat den originellen Anfang dieser Geschichte vor vielen Jahren verfasst und irgendwann wiederentdeckt. Das war gut. Dann hat er darüber nachgedacht, was er aus diesem Romansäugling machen kann. Das war nicht so gut, denn er hat sich dafür entschieden, eine recht obskure, zuweilen ziemlich esoterische, motivüberfrachtete, episodische, sprachlich und inhaltlich sehr wirre Story zu entwickeln, deren Verbindungen zum Anfang - wohlwollend ausgedrückt - lose sind, die aber vor allem leider keine (Story) ist: Obwohl es eine Vielzahl von Referenzen, rätselhaften Ereignissen, Traumsequenzen und anderem Hokuspokus im Übermaß gibt, versandet "Der Allesforscher" etwa in der Mitte und löst sich gegen Ende völlig auf. Nur ein furioser Anfang und ein fraglos großartiger Titel reichen nicht für einen bemerkenswerten Roman, und obwohl, wie Steinfest in den Nachbemerkungen ausführt, noch viele Ratgeber versucht haben, das Ding zu retten, ist zumindest diese Expedition gescheitert. Erstaunlich, dass es dennoch einige Kritiker und sogar Buchpreisjuroren gab, die meinten, hier etwas vorgefunden zu haben, das zumindest ich nirgendwo entdecken konnte, nämlich ein Buch, das gar zu den besten im Jahr 2014 zählen sollte. Ohne Zweifel gehört Heinrich Steinfest zu jenen deutschen Autoren, die sich auf wohltuende Weise abheben, sprachlich wie dramaturgisch, was längst nicht nur für seine originellen Cheng-Krimis gilt, doch zuletzt - mit "Das himmlische Kind", aber eben auch mit "Der Allesforscher" - hat sich das in eine Richtung entwickelt, der zumindest ich nicht mehr zu folgen in der Lage bin. Eine Geschichte ist eine Geschichte ist eine Geschichte. "Der Allesforscher" ist keine.