Die Wasserstoffsonate. Roman.
Iain Banks, Heyne 2014


Wasserstoffsonate

Melancholischer Optimismus

Mit dem Tod von Iain Banks hat die zeitgenössische Science Fiction einen ihrer wichtigsten Protagonisten verloren. Seine ambitionierten, ideenreichen, klugen und sprachmächtigen Romane markierten eine eigene Kategorie im Genre. Nicht immer leicht zu verstehen - ich denke da an "Der Algebraist" oder "Die Sphären" -, aber immer unterhaltsam, zugleich anspruchsvoll und unendlich zuversichtlich, wenn es um die - nicht nur menschliche - Zukunft ging. Wie keinem anderen gelang es Banks, in gewaltigen Dimensionen und Zeiträumen zu denken, und originelle Spezies mit großer Selbstverständlichkeit zu präsentieren, ohne sie mit "humanen" Charakterzügen ausstatten zu müssen, um Identifikationspotential zu schaffen.

"Die Wasserstoffsonate" ist im "Kultur-Universum" angesiedelt, jener von Banks erdachten Zeit und Weltenordnung, in der die meisten Gesellschaften alle Egoismen abgelegt haben und es sich, salopp gesagt, gut gehen lassen. Im Bedarfsfall für Ordnung sorgen riesige, hyperintelligente Raumschiffe, die autark und in eigener Regie durchs All gondeln,  zuweilen aber auch - quasi aus Jux - jahrhundertelang beim Entstehen einer Supernova zuschauen. Während die KIs, die die Zentren dieser Schiffe bilden, um einen kaum vorstellbaren Faktor schneller denken als beispielsweise Menschen, spielt die Zeit doch keine große Rolle für sie. Wenn sie sich aber für etwas interessieren, handeln sie rasch. Vergleichsweise. Kommunikation und Austausch mit anderen Schiffen spielt eine große Rolle - man diskutiert gerne miteinander, ist dabei ironisch, manchmal sarkastisch. Es ist wie ein gemütlicher Stammtisch von Genies, der sich über das gesamte All erstreckt.

Die humanoide Spezies der Giltz steht kurz vor der Sublimation, dem kollektiven Übergang in jene fantastischen Dimensionen, die endlose Freiheit und unsterbliches Glück versprechen. Kaum jemand ist von dort zurückgekehrt, aber auch die wenigen, die diesen Schritt gemacht haben, sind nicht dazu in der Lage, dieses reale Jenseits zu beschreiben. Die Giltz folgen nicht nur eigenem Antrieb, sondern auch einer weissagenden Schrift, dem "Buch der Wahrheit", das die Geschicke dieser Spezies seit jeher präzise vorhergesagt hat, darunter auch die Entscheidung, nicht der "Kultur" beizutreten, obwohl sie unter anderem von den Giltz erdacht wurde. Die Handlung von "Die Wasserstoffsonate" beginnt einige Wochen vor der geplanten Sublimation, mit der rätselhaften Attacke auf einen Außenposten der Giltz.

Das Buch erzählt, begleitet vom Countdown bis zur Sublimation, von diplomatischen Verstrickungen, kleinen Schlachten, der Suche nach einem jahrtausendealten Menschen, der möglicherweise etwas über das "Buch der Wahrheit" weiß, Dutzenden originellen Arten von Außerirdischen, einer fünf Jahre währenden Abschiedsparty auf dem Heimatplaneten der Giltz, von Selbstfindung, Erinnerung, Ehre, Sex und Unsterblichkeit. Durchbrochen wird die Handlung des mit originellen Ideen gespickten Romans immer wieder von überaus amüsanten Gesprächen der "Kultur"-Schiffe, von Ausschweifungen etwa über die Simulationsproblematik, und als das Buch dann endet, ist es ziemlich plötzlich vorbei, eigentlich sogar überraschend. Der Schluss - nunwohl: Dieser Teil gehörte noch nie zu Banks' Stärken. Aber er ist in Ordnung, verständlich und letztlich sogar ein bisschen egal. Denn dieses letzte Buch ist beherrscht von einem melancholischen Optimismus, einer amüsierten Traurigkeit, die mich an jenes Zitat denken ließ, das Peter F. Hamilton im Abschiedsblog von Iain Banks hinterlassen hat: "And who knows, maybe there will be a cure in time, after all, optimism is what SF is all about." Nein, es gab kein Heilmittel, das noch rechtzeitig erfunden wurde, aber deshalb sollte man das Hoffen nicht aufgeben. Vor allem das Hoffen darauf, dass die Menschheit irgendwann damit aufhört, gefährlichen Unsinn anzustellen, und sich auf das wesentliche konzentriert, nämlich die kurze Daseinszeit zu genießen.
Farewell, Iain.
Und: Danke!

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