Stoner. Roman.
John Williams, dtv 2014
Brillant
"Stoner" ist 1965 erschienen, wurde aber erst über vierzig Jahre später, durch eine Neuveröffentlichung im Jahr 2006, zum Publikums- und Kritikererfolg.
Der Roman erzählt die Lebensgeschichte von William Stoner, und er erzählt diese zweimal, nämlich zunächst in Kurzform gleich am Anfang, gefolgt von der Langversion, die den Rest des Buchs einnimmt. Im Prinzip weiß man schon nach dem ersten Kapitel, wie der Roman enden wird, aber es ist keineswegs so, dass es dadurch an Spannung fehlt.
William Stoner kommt gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts als Sohn von Farmern auf die Welt. Das Leben auf der kargen Ranch ist hart und freudlos; der Umgang innerhalb der Familie könnte euphemistisch als "pragmatisch" bezeichnet werden. Aber die Eltern schicken den Heranwachsenden auf eine Universität, wo er ein Studium der Landwirtschaft aufnehmen soll, elterlicherseits verbunden mit der Hoffnung, er würde mit Wissen zurückkehren, das geeignet wäre, die Erträge der armseligen Farm zu steigern. Tatsächlich begegnet Stoner an der Columbia University in einem Pflichtkurs der ihm bislang weitgehend unbekannten englischen Literatur - und ist sofort verzaubert. Er wechselt den Studiengang, wird Dozent für Literatur und später Professor, heiratet, bekommt eine Tochter, stirbt schließlich in den Sechzigern des zwanzigsten Jahrhunderts. Damit nimmt man nichts vorweg, denn in etwa so wird es auch in der Exposition des Romans beschrieben. Und natürlich geschieht noch weit mehr als nur das. Es gibt Konflikte, Krisen, Aufstiege, Abstürze, Momente des Glücks. Und dieses Leben. Nur das eine.
William Stoner ist eine geradlinige, fast klare, sehr duldsame, aber auch konfliktscheue Figur, wobei es der Begriff "konfliktscheu" nicht präzise trifft, denn Stoner ist durchaus zu Auseinandersetzungen bereit, scheint sie jedoch meistens für überflüssig zu halten, umso mehr, wenn sie auf den (wenigen) eigenen Entscheidungen basieren, zu denen Stoner steht wie der sprichwörtliche Fels (also Stein) in der Brandung. Er ist auf fast schon stoische Weise unbeirrbar, trägt die Verantwortung konsequent und bis zuletzt. Zugleich halten sich seine Ambitionen in Grenzen; er erwartet, verlangt nichts vom Leben, hat keine Visionen und letztlich auch keine Perspektive. Allerdings ist die Figur, obwohl man das nach dieser Zusammenfassung glauben könnte, alles andere als langweilig oder gar dumm. Tatsächlich ist dieser William Stoner ungeheuer spannend und mitreißend. Es ist faszinierend, welchen Sog dieser Roman entwickelt.
Und das liegt vor allem an der Art und Weise, wie John Williams diese Geschichte erzählt. Selten nur bin ich einer so wundervollen, melodiösen, angemessenen, überraschenden, jederzeit treffenden und faszinierenden Sprache begegnet. Das Buch ist immer und an jeder Stelle ein Genuss, ein Exempel dafür, dass es beim Schreiben nicht nur darum geht, die falschen Wörter wegzulassen (Mark Twain), sondern die richtigen zu finden. Kurz gesagt: "Stoner" ist brillant. Und die letzten Seiten, auf denen sich der sterbende William Stoner immer wieder fragt, was er eigentlich erwartet hatte, gehören zu den besten Romanenden, die ich je gelesen habe.
Tom Liehrs aktuelle Veröffentlichung:
NACHTTANKSTELLE.
ROMAN.
rororo, 28. August 2015
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