Joey Goebel: Ich gegen Osborne (Diogenes)

Ich gegen Osborne

Ich gegen mich selbst

Der neueste Roman von Joey Goebel ("Vincent", "Freaks", "Heartland"), der bislang nur auf Deutsch erschienen ist, obwohl der Autor in Amerika lebt, spielt am 19. April 1999 im fiktiven "Vandalia" in Kentucky/USA. Schauplatz ist die riesige "Osborne Highschool", Protagonist und Ich-Erzähler ist James Weinbach, der kurz vor seinem Abschluss steht. Der große, schlaksige, belesene, eigenbrötlerische Schüler hasst die Highschool mit jeder Faser seines Körpers, er ist aber auch sonst energischer Nonkonformist, weshalb er beispielsweise im Anzug zur Schule kommt. An diesem Morgen, dem ersten nach den Frühlingsferien, hat er sich vorgenommen, die gute Freundin Chloe, die er heimlich liebt, um ein Date zu bitten, aber Chloe hat sich verändert, wie James schon auf dem Parkplatz bemerkt: Sie trägt jetzt Sneakers. Offenbar hat sie, während James u.a. seinen Vater zu Grabe getragen hat, einen orgiastischen Spring-Break miterlebt. Er verschiebt den Antrag vorläufig.
Und dann erlebt der Leser diesen Schultag minutiös mit, beginnend mit dem Chemieunterricht, endend mit Kunst. Goebel skizziert seine Hauptfigur als hochintelligenten, aber äußerst unsicheren Underdog, der im Laufe dieses Tages die Möglichkeit bekommt, das Leben seiner verhassten Mitschüler drastisch zu beeinflussen, und er nimmt diese Gelegenheit auch wahr - eine Entscheidung, die ihm erleichtert wird, als sein ambitionierter Romananfang im "Creative Writing"-Kurs von den anderen zerfleischt wird und nicht einmal Chloe unterstützend eingreift. Innerhalb weniger Minuten wird der Outsider zum meistgehassten Schüler. Die spannende Frage lautet also, ob und wie er diesen Schultag überleben wird, jedenfalls bildlich gesprochen. Faktisch geht es um Prügel oder keine Prügel.

Solche Vermutungen gehören eigentlich nicht in eine Rezension, aber ich erlaube mir dennoch, an dieser Stelle spekulativ zu werden: Wahrscheinlich hat Goebel diese Geschichte vor mehr als 13 Jahren geschrieben, nämlich 1999, denn es gibt innerhalb des Romans keine hinreichende Begründung dafür, warum sie ausgerechnet in jenem Jahr spielt - sie wäre auch in der Jetztzeit ohne gravierende Änderungen möglich. Hauptindiz für diese Vermutung ist jedoch, dass "Ich gegen Osborne" unfertig und, leider, oft linkisch-spätpubertär wirkt. Dieser James Weinbach, von dem sich Joey Goebel, wie er auf seiner Website schreibt, wünscht, er würde beim Leser das Verlangen wecken, ihn anzurufen und ihm die Freundschaft anzubieten, wirkt wie jemand, der viel (und durchaus in kluger Weise) nachdenkt, dem es aber ob des fehlenden Erfahrungshorizonts nicht gelingt, all diese Gedanken in aller Konsequenz zu einem halbwegs vernünftigen Ende zu bringen. Dasselbe gilt für das gesamte Buch, das arm an Höhepunkten, aber reich an Wiederholungen ist, weshalb es im Mittelteil ziemlich langweilt. Der Standpunkt der Hauptfigur wird - wie so oft bei Goebel - überdeutlich betont, aber es bleibt fast bis zum Schluss bei einer krassen Schwarzweißzeichnung, obwohl es reichlich Möglichkeiten und Angebote für Weinbach gäbe, seine Position zu überdenken und zu relativieren (allerdings würde dann das Romankonzept scheitern, klar). Wenn er reflektiert und sich um Verständnis bemüht, bleibt das dennoch unreif und häufig verblüffend oberflächlich. Allein aus der Figur heraus ist das aber nicht erklärbar.

Im Klappentext ist sinngemäß die Rede davon, dass "Ich gegen Osborne" der Spaßgesellschaft einen Spiegel vorhalten will, aber eigentlich handelt es sich nur um die altbekannte Geschichte über die einen und die anderen: Jene, die Spaß haben können und diese Option auch wahrnehmen, und die anderen, die außen vor bleiben, weil sie mittellos und/oder nicht sehr attraktiv sind. Das hat schon Musil in seinem "Törleß" beschrieben, und nicht einmal der war der erste.

Richtig ärgerlich wird es jedoch, wenn der Erzähler versucht, Orwells "1984", das im Englischunterricht thematisiert wird, als Motiv für die Metapher, die der Roman irgendwie sein soll, zu formulieren. Hier tritt das Konzepthafte der Geschichte besonders zutage, die mit vielen Elementen überfrachtet ist, gegen die im Einzelfall nichts zu sagen wäre, die aber in der Summe kein stimmiges Werk ergeben. Möglich auch, dass Goebel seine eigene Hauptfigur zu sympathisch war, weshalb er darauf verzichtet hat, sie wie eine Romanfigur zu behandeln. Deshalb wirkt "Ich gegen Osborne" wie ein Kammerspiel, das von jemandem inszeniert wurde, der nicht weiß, wie das geht, und/oder es mit der klassischen Tragödie verwechselt hat. Die Rolle des "Deus ex machina" übernimmt ein nicht im Detail ausgeführtes Geheimnis des Schuldirektors, das Weinbach kennt und als Druckmittel verwendet.

Wenn man reichlich seltsame Dialoge und die unübersichtliche, konturenarme Figurenflut hinter sich gebracht hat, bleibt ein Buch, das ausführlich einen fiktiven Schultag beschreibt, an dem viel passiert, sich aber fast nichts bewegt. Die überschrittene Erkenntnisschwelle ist in etwa so hoch wie eine Nacktschnecke, und mit der Geschwindigkeit dieses Tierchens schreitet die Story auch voran. Es handelt sich also um eine leider ziemlich ermüdende Fingerübung eines fraglos talentierten Autors, der leider immer denselben Fehler macht, nämlich gute Ideen auszuwalzen, bis fast nichts mehr von ihnen übrig bleibt. Ich bin sicher, dass Joey Goebel irgendwann einen richtig, richtig großen Roman vorlegen wird, weshalb ich ihm auch vorläufig treu bleiben werde, aber dieser ist es nicht.

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