Miss Blackpool. Roman.
Nick Hornby, Kiepenheuer&Witsch 2014

Miss Blackpool

Solide

Seit sie zum ersten Mal die amerikanische Comedyserie "I love Lucy" gesehen hat, träumt Barbara davon, selbst Darstellerin in einer solchen Serie zu werden. Doch sie wird - vorerst - "nur" Miss Blackpool, also die schönste Frau des Städtchens im Nordwesten Englands. Den Titel lehnt sie gleich wieder ab, als ihr bewusst wird, dass damit eine Verpflichtung einhergeht, die sie nicht annehmen will, nämlich jene, mindestens ein weiteres Jahr in der Provinz zu versauern. Sie zieht nach London und wird dort erst wieder Kosmetikverkäuferin, lernt aber bald den Schauspieleragenten Brian kennen, der sie als Model vermarkten will. Barbara jedoch, die sich jetzt "Sophie Straw" nennt, ringt ihm unbeirrt Vorsprechtermine ab, weshalb sie in einer Gruppe jüngerer Menschen landet, die soeben ein neues Format für die BBC konzipieren.

Wir schreiben die frühen Sechziger. Großbritannien nähert sich jener Aufbruchstimmung, die die späten Sechziger und die Siebziger prägen wird: Die Loslösung von der miefigen, erzkonservativen, patriarchalischen  und rückwärtsgewandten, fast schon traumatischen Atmosphäre, in der sich das Königreich seit dem Weltkrieg befindet. Auch in der Unterhaltung werden neue Wege beschritten, neue Themen besetzt, Tabus gebrochen.
Barbara alias Sophie wirbelt das Produktionsteam durcheinander und wird Star der neuen Serie "Barbara (and Jim)" um ein ungleiches Ehepaar. Vier Staffeln wird es von dieser Serie geben, die die Straßen leerfegt und Sophie zur Berühmtheit macht.

"Miss Blackpool" (Originaltitel: "Funny Girl") ist ein Roman der Dialoge. Da sind zum Beispiel die Gespräche zwischen den Autoren Tony und Bill. Beide sind homosexuell, aber während Tony versucht, dennoch eine funktionierende heterosexuelle Ehe zu führen, forscht Bill offensiver nach Auswegen - zu einer Zeit, in der homosexuelle Handlungen noch strafbar sind. Da sind die Gespräche am Set, vor allem zwischen Sophie und Clive, dem zweiten Hauptdarsteller, der seit Beginn der Serie einerseits darunter leidet, nur in Klammern genannt zu werden, und andererseits Probleme damit hat, sich selbst nicht mehr in der dargestellten Person zu erkennen. Da ist Dennis, der Regisseur, der vom ersten Moment an in Sophie verliebt ist, es ihr aber nicht zu gestehen wagt, zumal er mit Edith eine - immerhin untreue - Ehefrau zu Hause hat.
Hornby beschreibt sehr anschaulich den Paradigmenwechsel in der britischen Unterhaltungsbranche, die bis heute großen Einfluss in ganz Europa hat. Er zeigt aber auch, was sich außerhalb der thematischen Neuorientierung getan hat: Unterhaltung ist längst zu einer Industrie geworden. Fast schon possierlich mutet es da an, mitzuerleben, wie einige wenige Protagonisten seinerzeit Revolutionen auslösen konnten, während heute nur noch die Masse zählt. "Miss Blackpool" ist, wenn man so will, auch ein historischer Roman, zumal das, was im Fernsehen geschieht, nach wie vor den Zeitgeist zu repräsentieren scheint.

Nach eher schwachen Büchern wie "A Long Way Down" oder "Juliet, Naked" findet der Mann, der die Popliteratur der Neunziger wie kaum ein anderer geprägt hat, zwar längst nicht zu alter Form zurück, orientiert sich aber auf wohltuende Weise neu: Im Vergleich zu seinen Frühwerken gibt sich der Autor distanziert, wechselt perspektivisch zwischen den Figuren und konzentriert sich ganz auf das Geschehen. Im Ergebnis liest sich "Miss Blackpool" flüssig, amüsant und interessant, liefert eine Menge Informationen über Geschehen und Hintergründe. Dass dabei das Identifikationspotential etwas zu kurz kommt, liegt offenbar in der Natur der Sache. Allerdings hätte sich Hornby die letzten sechzig, siebzig Seiten auch schenken können: Das abermalige Aufeinandertreffen der Figuren in der Jetztzeit will sich dramaturgisch nicht so recht anfügen, entzaubert den Roman sogar ein wenig, und ist außerdem leider ein bisschen langweilig geraten.

Unabhängig hiervon ist Nick Hornby mit diesem Buch ein unterhaltsamer und spannender Roman gelungen, der nicht nur jene, die sich für die Geschichte der Comedy interessieren, leidlich begeistern dürfte. Dass von ihm kein "Fever Pitch" oder erneutes "High Fidelity" mehr zu erwarten ist, steht ja ohnehin seit Jahren fest.

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pfeil Übersicht: Tom Liehr

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Tom Liehrs aktuelle Veröffentlichung:

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ROMAN.
rororo, 28. August 2015
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