Konzert ohne Dichter. Roman.
Klaus Modick, KiWi 2015

Konzert ohne Dichter

Suppe ohne Würfel

Zu seiner Zeit, die vom Ende des neunzehnten bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts reichte, war Heinrich Vogeler das, was man heutzutage als "Multitalent" bezeichnen würde. Der Mann war als Maler, Bildhauer, Architekt, Buchausstatter und Designer tätig, später auch als Schriftsteller. Zur Jahrhundertwende gründete er die Künstlerkolonie von Worpswede und schuf mit dem "Barkenhoff" eines ihrer Zentren. Zu den unregelmäßigen Bewohnern gehörte der notorisch in Geldnöten steckende Rainer Maria Rilke, damals am Anfang seiner Laufbahn stehend. Klaus Modick erzählt in "Konzert ohne Dichter" von der Begegnung dieser beiden Figuren, ihrer Annäherung und Entfremdung, aber es geht auch um Zeitgeschichte, Mäzenatentum, Familie, Freundschaft und Liebe. Und um die Bedeutung von Kunst bevorzugt aus der Sicht der Kunstschaffenden. Vogeler wird von Mäzenen hofiert und mit Aufträgen überhäuft, vor allem, als er im Jahr 1905 eine Goldmedaille für sein Werk erhält, insbesondere für ein Gemälde, das bis dahin (und heute noch) die Arbeitstitel "Sommernacht" oder "Konzert" trägt. Dieses Bild fasst die Stimmung der zurückliegenden Jahre auf dem Barkenhoff zusammen, aber sowohl das Gemälde, als auch die Entwicklungen dort sind aus Vogelers Sicht eher unbefriedigend. Deshalb enthält das Gemälde auch alle Protagonisten der damals legendären Worpsweder Sommernächte, nur nicht Rilke.
Modick schildert die Geschehnisse überwiegend aus Vogelers Perspektive. Dem Künstler ist es gelungen, mit dem Barkenhoff eine nie dagewesene Selbstinszenierung zu schaffen, praktisch einen "Showcase", der bis ins Detail stimmig ist. Vogeler ist dem Jugendstil zugehörig, einer kunstgeschichtlichen Epoche, die mit floralen Ornamenten, Figuren und Formen aus der Natur gearbeitet hat, sehr dekorativ, aber auch, wie dem Künstler bewusst ist, sehr oberflächlich und vor allem pittoresk. Der junge Rilke, der ständig "arbeitet", sich gerne selbst reden hört und dem Klang seiner Worte mehr Bedeutung zuzumessen scheint als ihrem Inhalt, markiert diese Entwicklung für sein Genre. Die Kunst ist in erster Linie schön, und keinen der Mäzene oder Käufer interessiert, wie es hinter der Fassade aussieht.  Eine Aussage erwartet auch niemand. Während Rilke diese Kunst ohne Botschaft perfektioniert, wobei er mit seinen Zeitgenossen kaum etwas anfangen kann und jede Verantwortung scheut, empfindet der andere den Erfolg als lähmend, die eigene Arbeit als fast schon nihilistisch. Und genau mit diesem Aspekt hadert Vogeler mehr und mehr.

"Konzert ohne Dichter" ist, weil er von solchen handelt, ein Künstlerroman, der vermutlich sehr anschaulich in die Vorgänge einführt, seine Figuren so präzise wie möglich skizziert, sich auch der Sprache jener Zeit bedient. Er endet mit dem Tag, an dem Vogeler jene Medaille erhalten wird, die ihn adelt und ihm weitere Verdienstmöglichkeiten eröffnet, ihm aber auch wie nichts anderes vor Augen führt, dass Werk und Künstler längst keine kontrollierbare Einheit mehr bilden, dass er also Opfer seines Erfolgs zu werden droht. Was wir im Roman nicht mehr erfahren, ist das Ergebnis dieser Katharsis. Rilkes Popularität wird stark wachsen, Vogeler entscheidet sich für den Kommunismus und migriert in den Dreißigern in die Sowjetunion. Der eine wird heute noch in Poesiealben und auf Abreißkalendern zitiert, der andere ist außerhalb der Fachkreise so gut wie vergessen, obwohl es sicher Porzellanhersteller gibt, die nach wie vor seine Dekors verwenden.

Das Buch ist bezogen auf seine Prämisse vermutlich exzellent gelungen, aber man muss sich darauf einlassen, um es als interessante und spannende Lektüre zu empfinden. Die ohnehin nicht sehr starken Konflikte sind nicht immer präzise auszumachen, was Modick wohl auch bewusst war, weshalb er sehr kunstvoll zwischen den Episoden springt und die dramaturgische Wucht vor allem hieraus bezieht. Das Verhältnis zwischen Rilke und Vogeler führt an keiner Stelle zu einer direkten Auseinandersetzung, bewegt sich also überwiegend auf der Interpretationsebene. Deshalb bleibt möglicherweise ein etwas unbefriedigtes Gefühl der Auslassung zurück, wird das Verlangen nach einer konkreten Wertung nicht erfüllt. Die "Chronik der Skandale", von der im Klappentext die Rede ist, hätte man als zeitgenössischer Leser wahrscheinlich vorgefunden, aber als jemand, der das hundert Jahre später zur Kenntnis nimmt, muss man sich schon gehörig anstrengen. Dennoch ist das ein sehr lesenswerter, erhellender und andeutungsreicher Roman geworden, der mitreißend in die Epoche einführt und (mindestens) ein kulturelles Problem zum Gegenstand hat, das es in ähnlicher Weise zu jeder Zeit gab und gibt.

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pfeil Übersicht: Tom Liehr

Nachttankstelle

Tom Liehrs aktuelle Veröffentlichung:

NACHTTANKSTELLE.
ROMAN.
rororo, 28. August 2015


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