Honig. Roman.
Ian McEwan, Diogenes 2013

Honig

Eigentümlicher Agentenroman

Die hübsche und clevere Serena Frome ist eine literaturbegeisterte Schnellleserin, aber die konservativen Eltern zwingen sie in ein Mathematikstudium in Cambridge. Nach dem mittelmäßigen Abschluss landet sie - ebenfalls nicht ganz freiwillig - beim britischen Inlandsgeheimdienst MI5, wo sie zunächst im Archiv tätig ist. Doch man wird auf die Frau aufmerksam und schickt sie im Rahmen der Mission "Honig" nach Brighton, wo sie mit dem Nachwuchsschriftsteller Tom Haley Kontakt aufnehmen soll, den man indirekt finanziell unterstützen will, um die "rechte" Kultur zu fördern, wie es die amerikanische CIA seit Jahrzehnten im großen Stil vormacht. Serena und Tom verlieben sich ineinander, ohne dass der junge Schriftsteller ahnt, wer hinter der attraktiven Frau und vermeintlichen Stiftungsmitarbeiterin steht. Und tatsächlich wird Haley mit seinem ersten Roman erfolgreich, allerdings auf ganz andere Weise, als man beim MI5 gehofft hatte.

Wir schreiben die Siebziger, das Jahrzehnt des sexuellen und kulturellen Aufbruchs. Energie- und Wirtschaftskrisen haben das britische Königreich fest im Griff, zugleich konkurrieren die Geheimdienste im Kalten Krieg um die beste Waffe gegen die kommunistische Bedrohung. Populäre Kunst und vor allem Literatur, denkt man beim MI5, wären ein probates Mittel, um das Volk auf dem richtigen Weg zu halten.  Das hat schließlich schon vor und seit Jahrtausenden funktioniert.

McEwans neuer Roman wirkt seltsam spröde, oft berichtshaft - und bezogen auf seine Hauptfigur, die Ich-Erzählerin Serena, nicht selten unglaubwürdig, wofür es am Ende immerhin eine Erklärung gibt. Das ganze Buch lebt von diesem Ende, das, ohne etwas vorwegzunehmen, alles umkrempelt. Die Geschichte ist in sich wie auch nach außen ein Täuschungsspiel, also selbst der Leser wird getäuscht, glaubt er doch fälschlicherweise bis fast zum Ende, Serena würde ihre Geschichte erzählen. Damit entsteht der unangenehme Eindruck, auf etwas hereingefallen zu sein, was McEwan zweifelsohne beabsichtigt hat. Das etwas merkwürdige Leseerlebnis und die eigenartige Konturierung der Hauptfigur lassen sich jedoch durch die nachfolgende Erklärung nicht ganz beiseite wischen. Ein Gefühl der Unstimmigkeit bleibt. Und die Frage, ob das so hätte sein müssen, worin also der Nutzen der Trickserei besteht.

In diesem Buch geht es um Liebe, hauptsächlich aber um Politik und Kultur, zuvorderst Literatur - und die Rolle der Kulturschaffenden in der politischen Landschaft, vor allem jener, die sich unter der Oberfläche befindet. Deshalb gehört das gelegentlich ermüdende literarische Namedropping wohl auch zum Konzept, dessen Ziel sich mir allerdings nicht ganz erschlossen hat. Unterm Strich ist "Honig" ein Vexierspiel vor historischem Hintergrund, der aber etwas diffus und angedeutet bleibt, wodurch sich der Roman letztlich wie eine postmoderne Liebesgeschichte mit Rätselanteil liest, ohne je übermäßig spannend oder über den direkten Kontext hinaus besonders interessant zu sein. Dieser eigentümliche und, wie so oft bei McEwan, motivüberfrachtete Agentenroman will viel - zum Beispiel zeigen, wie relevant die Perspektive beim Erzählen einer Geschichte ist -, erreicht aber wenig. Und leider langweilt er hin und wieder auch, was besonders schade ist. McEwan war schon besser.

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