Rainald Goetz: Johann Holtrop (Suhrkamp)

Johann Holtrop

Pseudorealismus

Dieses Buch schreit mit jedem Satz: ICH WILL NICHT KONVENTIONELL SEIN. Nein, brüllt es, das will ich nicht, denn ich bin schließlich ein Roman von Rainald Goetz.
Und zwar ein schlechter.
"Johann Holtrop" erzählt, um eine Phrase zu verwenden, "vom Aufstieg und Fall" eines Managers mit diesem Namen, zugleich skizziert er den seltsamen und - vermutlich - verabscheuungswürdigen Mikrokosmos, der große Konzerne und, vor allem, deren Führungsstrukturen ausmacht. Jedenfalls, wenn man Rainald Goetz glaubt. Das ist dann auch bereits die entscheidende Frage, denn der Pseudorealismus, mit dem dieses Buch ausgestattet ist, soll darüber hinwegtäuschen, dass die reale Realität, die der Autor zeigen und kritisieren will, tatsächlich eine andere ist. Nimmt man Goetz diese Prämisse aber nicht ab, lässt man sich also nicht auf sein Kapitalismuskritikmärchen ein, ist das Buch absolut ungenießbar. Langweilig. Vorhersehbar. Zweidimensional. Und albern. Sogar äußerst albern.

Gegen Ende des ersten Romandrittels beschreibt der Autor eine Szene, in der sich ein paar Angestellte des im Mittelpunkt stehenden Konzerns Assperg treffen, um die baldige Weihnachtsfeier zu planen. Dort sitzt zunächst der IT-Verantwortliche Wonka der Kommunikationschefin Frau Rathjen gegenüber. Goetz schreibt: "Frau Rathjen machte Wonka gegenüber eine Bemerkung über die Kaputtheit des Betriebsklimas am Standort Krölpa, die von der Zentrale in Schönhausen gewollt sei. (...) Der Text von Frau Rathjen war nicht auf eine verbal explizite Resonanz hin angelegt, es reichte für diesen Text, dass der Körper irgendeines anderen Menschen, zum Beispiel der von Wonka, in Gesprächsentfernung anwesend war." (Seite 91)
Diese beiden Sätze sind typisch und deshalb exemplarisch. Gequirlter Käse, literarisches Bullshit-Bingo, maniriert und übrigens nicht nur an dieser Stelle im Hinblick auf das weitere Geschehen nahezu bedeutungslos. Goetz faselt über mehrere hundert Seiten hinweg in dieser Sprache, die keine ist, die nur Goetz spricht und niemand sonst. Das war auch schon in seinen vorigen Romanen so, von "Irre" über "Rave" bis zu eben diesem, aber in "Johann Holtrop", einem gekünstelten und völlig realitätsfernen Traktat, treibt er es auf die Spitze, dem Leser große Geduld und Toleranz abverlangend, ohne diesen Aufwand irgendwie zu belohnen.

Hauptfigur ist der titelgebende Johann Holtrop, der eine großartige Karriere hinter sich hat, aber so egozentrisch, fast egoman ist, dass er schließlich an sich selbst scheitert. Holtrop ist, wie das gesamte Buchpersonal, äußerst linear angelegt und auf sein Dasein als Manager reduziert, was vermutlich eine Reflexion der Strukturen darstellen soll. Die Menschen in Goetz' Roman sind dadurch aber Karikaturen, im Wortsinn unmenschlich - also unecht - und mit Haut und Haar Rädchen im Konzerngetriebe, nichts sonst. Sämtliche Eigenschaften beziehen sich auf den Kontext, darüber hinaus gibt es nichts. Tatsächlich absolut nichts.

Zudem suggeriert der Autor mit seinem eigenwilligen Duktus kritische Distanz, obwohl das Gegenteil davon eintritt: Kritik und Gegenstand stimmen überein, denn Goetz hat den Gegenstand so geformt, dass die Kritik passt. Sein erschöpfend - und ermüdend - detailliert skizziertes Konzernmodell dürfte in den Chefetagen real existierender Konzerne bestenfalls Lachanfälle generieren, aber keine selbstkritische Innenschau. Damit scheitert "Johann Holtrop" nicht nur literarisch, sondern auch thematisch. Ein nutzloses und ärgerliches Buch.

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