Ein gutes Herz. Roman.
Leon de Winter, Diogenes 2013


Ein gutes Herz

Ein blödes Buch

Zeitgenössische fiktionale Literatur, eigentlich aber nicht nur diese, ist zwangsläufig immer ein wenig autobiografisch. Unterschiedliche Autoren würden die gleiche Geschichte schließlich unterschiedlich erzählen. Taucht der Autor selbst als Figur in seinem Roman auf, wird es allerdings problematisch.

In Leon de Winters jüngstem Roman geht es um viele Themen - Terrorismus, Vater-Sohn-Beziehungen, Politik, Religion, organisierte Kriminalität, Schriftstellerei und Liebe. Aus wechselnden Perspektiven, die nicht immer gut getroffen sind (etwa, wenn der junge Nathan auftritt), erzählt der niederländische Romancier von einer Gruppe junger Marokkaner, die vorgeblich eine Fußballmannschaft sind, eigentlich aber eine Terrorzelle bilden, von einem charismatischen Großkriminellen, der das Land verlassen musste, herzkrank wurde und ein Spenderorgan bekam, von einem Staranwalt mit Verbindungen nicht nur zur rechten Szene, von einer getriebenen Frau, die bei allen Liebhabern bleibende Eindrücke hinterließ, von amtsmüden Politikern und sensationsgierigen Populisten. Und er erzählt von Leon de Winter, der mit alldem zu tun hat, langsam älter wird, nicht mehr sehr hübsch ist und seine Haltung reflektiert, irgendwo zwischen Wut, Trieb, Gestaltungswillen und Altersmüdigkeit.

Ausgangspunkt ist der (reale) Mord an Theo van Gogh, jenem mäßig bekannten Filmregisseur, der im Jahr 2004 in Amsterdam von einem Islamisten getötet wurde. Dieser Theo von Gogh ist nun, zehn Jahre später, im Himmel - beziehungsweise an einem Ort, der die Vorstufe zu irgendwas bildet. Van Gogh muss sich bewähren, um seinen Körper zurückzubekommen, weshalb er, Halleluja!, Schutzengel wird. Seine Kontaktperson ist Max Kohn, der Kriminelle. Dieser hat soeben das Herz eines jung verstorbenen, zu Lebzeiten recht promisken Priesters erhalten, und dieser Priester hatte unter anderem ein Verhältnis mit Kohns Exfreundin. Mit dieser Frau ist Leon de Winter zur Zeit der Romanhandlung liiert. Kohns Sohn, von dem der Kriminelle nichts weiß, befindet sich ebenfalls in Amsterdam, Kohns rechte Hand war ein arabischstämmiger Mann, der eine Haftstrafe verbüßt, weil er zehn Jahre zuvor zwei Killer, die auf Kohn angesetzt waren, umgebracht hat, außerdem aber deren Auftraggeber, der wiederum ... nein, das würde jetzt zu weit führen. Der Sohn dieses Mannes ist übrigens der Anführer der jungen Terroristen. Auf seltsame und nicht immer schlüssige Weise ist in dieser diffusen Geschichte also alles miteinander verbunden. Die jungen Marokkaner verüben im Zentrum von Amsterdam einen folgenschweren Anschlag und entführen kurz darauf ein Flugzeug. Kohn, sein Anwalt und Leon de Winter werden zu Schlüsselfiguren in der Krise. Und der Schutzengel Theo van Gogh wartet auf seine Chance.

"Ein gutes Herz" ist ein sehr persönliches Buch, ein Vehikel, das bei aller Vielfalt des Personals und der Handlungsstränge doch nur einen einzigen Gegenstand transportiert: De Winters Eitelkeit. Was der Autor, den ich bislang sehr geschätzt habe, als Understatement zu verkaufen versucht, etwa die halbironische Betrachtung der eigenen Fähigkeiten als Womanizer und Liebhaber, aber auch seine Rolle als politischer Kommentator und einstiger Widersacher Theo van Goghs, endet als fremdschamverursachendes Fishing-for-Compliments. Fraglos darf man als Literat das, was der Autor da veranstaltet, die entscheidende Frage aber lautet: Sollte man auch? Im Hinblick auf das vorliegende Ergebnis ist diese mit einem klaren Nein zu beantworten - der Roman ist ein (viel zu) langer Kommentar auf die politischen Geschehnisse der Nullerjahre, auf "Political Correctness", den Zustand der Niederlande, der Welt und der eigenen Person. Am Ende zieht de Winter so kräftig an allen Handlungsfäden, dass sie sich zu vereinen scheinen, aber eigentlich ist das Gegenteil der Fall: Die Geschichte ist keine, sondern ein halbfiktiver, zutatenüberfluteter Brei, der deutlich zu lange gekocht wurde. Besonders unappetitlich ist der Auftritt des (wiederum realen) Rechtspopulisten Geert Wilders, der die Chance wittert, zum Helden zu werden.

Das Buch hat seine spannenden und interessanten Momente, und es hätte ein gutes Buch werden können, hätte de Winter nicht, wie er am Ende erklärt, darauf verzichtet, einen Thriller zu schreiben, sondern diese mystische, halbpersönliche, gleichsam provinzielle Posse, deren Protagonisten, ob nun real oder fiktiv, allesamt armselige, mittelalte, egomane Wichtigtuer sind. Was wiederum die Vermutung nahelegt, dass es sich um eine Satire handelt, wofür auch die fehlende Logik und die inflationären Zufälle sprechen, allerdings gibt es auch ein Ausschlusskriterium: Die völlige Humorfreiheit des Romans. Nicht einmal die Szenen, in denen sich de Winter spiegelbildlich betrachtet, verfügen über Witz.

Bleibt ein Manifest der Selbstüberschätzung, eine kumpelhafte Abenteuergeschichte, die alle Register der Provokation zieht, ohne das Instrument selbst zu beherrschen, ein unterm Strich fast unerträglicher Roman, der auch noch das schlimmste aller literarischen Verbrechen begeht: Er langweilt. Ein wirklich blödes Buch. Mag sein, dass de Winter, wie er anmerkt, diesen Roman unbedingt schreiben musste. Aber auf die Veröffentlichung hätte er verzichten können.

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