Hart auf Hart. Roman.
T. C. Boyle, Hanser 2015

Hart auf Hart

Sind Sie gelangweilt, Herr Boyle?

Es gibt da einen Musiker, den ich schon seit Jahrzehnten verehre, und der alle paar Jahre ein neues Album veröffentlicht. Das kaufe ich dann, höre es mir an, gehe ins Konzert und freue mich darüber, dass dieser Musiker immer noch aktiv ist. Tatsächlich aber ist das längst zum Ritual geworden, bei dem die Musik inzwischen nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Okay, ein paar Sachen finde ich immer noch recht gut, aber eigentlich langweilt mich das Zeug. Der Mann ist fraglos nach wie vor ein großartiger Musiker, seine Auftritte sind beeindruckend, aber aus meiner persönlichen Sicht ist der Zug schon vor Jahren abgefahren. Ich hätte ihn fahren lassen sollen.

Es gibt da einen Schriftsteller, den ich schon seit Jahrzehnten verehre, und der inzwischen fast jährlich einen neuen Roman veröffentlicht. Den kaufe ich dann, lese ihn und ... ja, was eigentlich? Entschuldigung, lieber T. C., aber meistens ärgere ich mich. Diese lahme Architektenbiographie - "Die Frauen". Großer Gott. Dieser völlig vergurkte Identitätsraubroman mit dem Titel "Talk Talk". Oder dieses wirklich, wirklich äußerst langweilige Buch über Albert "Dr. Sex" Kinsey. Ganz zu schweigen von der seltsamen Inselmonographie "San Miguel", die wohl ein Spin-Off des okayen "Wenn das Schlachten vorbei ist" war, übrigens der einzige Boyle-Roman der letzten Jahre, den ich halbwegs spannend und interessant fand. Halbwegs: Fett, kursiv und doppelt unterstrichen.

Und jetzt "Hart auf hart", multimedial angekündigt, mit viel Brimborium und der unvermeidlichen Adelung durch Denis "Druckfrisch" Scheck.  Ehrlich, werter Herr Boyle, ich habe nicht die leiseste Ahnung, was Sie mir mit diesem Buch eigentlich erzählen wollten. Der doofe deutsche Titel hilft mir leider auch nicht weiter. Wer ist da hart? Und wer außerdem noch?

Es beginnt mit einer Kreuzfahrt. Sten, ein gestandener Siebziger, Ex-Marine, ist mit seiner Ehefrau in Costa Rica unterwegs, auf einem Landausflug, als ein paar Gauner die Busladung reicher Rentner überfallen wollen. Eher aus Reflex killt Sten einen der Diebe. In seinem Heimatörtchen Mendocino, in den Redwoods von Kalifornien, wird Sten fortan als Held verehrt. Die Verehrung schlägt schnell ins Gegenteil um, als sich herausstellt, dass Stens durchgeknallter Sohn Adam im Wald Opium anbaut und mit seinem chinesischen Repetiergewehr Leute abschießt.
Was die gesamte Handlung des Romans zusammenfasst. Ja, da ist auch noch Sara, die vierzigjährige Frau, freiberufliche Hufschmiedin, die "keinen Vertrag" mit den Ordnungskräften hat, also die US-Regierung für illegitim hält, und deshalb ohne Fahrzeugpapiere durch die Gegend schaukelt. Weil ihr Hund bei einer Verkehrskontrolle einen Polizisten beißt, kommt der Köter ins Heim. Auf dem Weg nach Hause liest Sara den herumstreunenden Adam auf und verliebt sich in ihn. Adam aber ist zu solchen Gefühlen nicht fähig, dafür hilft er Sara, das Tier zu befreien. Während sie völlig merkbefreit von trauter Zweisamkeit träumt, will Adam, nicht weniger realitätsfern, nur seinem Vorbild ähnlich sein, dem Waldläufer Colter, der zu Zeiten von Mason und Dixon im Busch unterwegs war.

Auf knapp 400 Seiten gedehnt geht es (wieder einmal) ein bisschen um Naturschutz, um Drogenanbau, um alte (amerikanische) Freiheiten und neue (dito) Einschränkungen - und letztlich um zwei Leute, die, vorsichtig gesagt, etwas abseits stehen. Während Sara eher gedämpft verhuscht ist, hat der Knalltütenhammer bei Adam mit großer Wucht zugeschlagen. Leider bleibt beides auf der Behauptungsebene, und die Frage nach dem Warum ebenso unbeantwortet wie ungefähr ein Dutzend weiterer. Da das Buch aus der personalen Perspektive der jeweils handelnden Figur - Sten, Sara, Adam - erzählt ist, tauchen Formulierungen wie "das Rädchen rattert" (Adam bei der Betrachtung seiner eigenen Absonderheit) oder "ich habe keinen Vertrag mit ihnen" (Sara) häufig auf. Was da für ein Rädchen rattert oder was es gar zu bedeuten hat, dass Adam mal versucht hat, die chinesischen Aliens auf seine Seite zu ziehen, soll der Leser nicht erfahren. Das größte Rätsel aber lautet: Wozu diese Geschichte? Oder, kürzer: WTF?

Ja, Herr Boyle, Sie sind ein akribischer, routinierter Erzähler. Ihnen gelingt es, auch aus dem belanglosesten Setting einen Text zu entwickeln, der sich immerhin gut lesen lässt. Mitunter ist es interessant, wenn es beispielsweise um den krassen Kontrast zwischen Mega-Malls und jahrtausendealten Wäldern drumherum geht. Oder sogar spannend, etwa, wenn Sten und ein Kamerad verdächtige Mexikaner jagen, die sie für Drogenbauern halten, die irgendwo im Wald betäubungsmittelhaltige Pflanzen ernten. Aber aus diesen und vielen weiteren Details will sich einfach keine Geschichte formen, der man irgendeine Thematik entnehmen könnte. Klar, es gibt Einzelthemen wie das Altern (Sten), Einsamkeit und Liebe (Sara), psychische Störungen (Adam), und die Bestandsaufnahme der amerikanischen Gesellschaft (gähn), aber der kahlköpfige Waldteufel, der das alles vorantreibt, steht, von seiner Klatsche abgesehen, für nichts. Das ist nur einer, der frei herumläuft, obwohl man ihm das nicht gestatten sollte. Gut, vielleicht ist das Boyles Thema: Die Gefahr der weitgehend uneingeschränkten Freiheit(en). Aber dafür hätte eine Kurzgeschichte gereicht. Bei einer Short Story wäre wenigstens das fade Ende nicht so aufgefallen.

Lieber T. C., ich muss abschließend leider zwei weitere schlimme Dinge über dieses Buch sagen. Erstens: Die Figuren wirken unecht, wie am Schreibtisch gemixt. Und zweitens: Man merkt dem Roman an, dass Ihnen das Schreiben keinen Spaß gemacht hat. Vielleicht ist das auch die Antwort auf mein Musikerproblem: Am Anfang, als die Verehrung entstand, hatte auch für ihn die eigene Musik noch große Bedeutung. Aber das hat irgendwann aufgehört, und dann war er nur noch Musiker - irgendein Musiker. Schade drum, vielleicht unausweichlich, aber immerhin kann man sich ja noch, wenn man mag, die alten Platten anhören. Oder die alten Boyles lesen, hinreißende Sachen wie die frühen Anthologien, oder "Willkommen in Wellville", "Grün ist die Hoffnung", "América" und, natürlich, "Wassermusik". Als Überbrückung, bis Ihnen das Schreiben wieder Spaß macht. Ich bin geduldig. Sie können doch mehr, als solche Ungeschichten wie diese hier herunterzurotzen.

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