Martina Borger, Maria Elisabeth Straub: Sommer mit Emma (Diogenes)

Sommer mit Emma

Dramaturgisches Durcheinander auf dem Hausboot

Daniel war mal ein gefragter Industriefotograf, bis er beschloss, nur noch Künstler zu sein, doch seine ambitionierten 3D-Projekte will kaum jemand kaufen. Luisa, seine Frau, die heimlich in einen ihrer Angestellten verliebt ist, finanziert mit ihrer Physiotherapiepraxis die Familie, zu der noch Jasper, der siebzehnjährige Sohn, und Lea, die fünfzehn Jahre alte Tochter gehören. Lea wurde kurz nach Daniels einzigem Seitensprung gezeugt, doch aus dieser Affäre, die seither die Ehe belastet, ging außerdem Emma hervor, die mit ihrer alkoholsüchtigen Mutter in Amerika lebt, aber bald nach Deutschland umziehen wird.

Der Sommer steht an, und die Münchener Familie beschließt, den Urlaub gemeinsam auf einem Hausboot zu verbringen, irgendwo in England. Da es vermutlich der letzte Familienurlaub sein wird, bieten die Eltern dem Seitensprungkind an, die Reise mitzumachen, und zum Ausgleich darf der postpubertäre Jasper seinen besten Freund, den lässigen Kiffer Can mitnehmen. Als man sich also zu sechst auf die Reise macht, schwingt dabei auch die Hoffnung mit, dass die festgefahrene, eigentlich aber perspektivlose Beziehung der Eheleute wieder in Schwung kommt. Doch schon der Anblick des gecharterten Schiffs, das den Namen "Darling II" trägt, dämpft die Erwartungen. Die bildhübsche Emma kommt zu spät, der Raum an Bord ist begrenzter, als man angenommen hatte. Konflikte sind, wie man so schön sagt, vorprogrammiert.

Das Autorenduo erzählt die Geschichte im Wechsel aus den Perspektiven der Familienangehörigen, nur Emma bekommt keine eigene Stimme, und bei Lea wird aus ihrem Tagebuch zitiert. Jene Figur, die nach kurzer Zeit die wichtigste Rolle an Bord übernimmt, bleibt also Objekt, während Erwartungen, Wünsche, Träume und Erlebnisse der anderen aus erster Hand geschildert werden. Und diese Emma ist es, die die Zerwürfnisse innerhalb der Familie ans Tageslicht zerrt, die subtil provoziert, ihre Schönheit gezielt als Waffe einsetzt, manchmal aber auch sehr direkt ihre unschönen Charakterzüge zeigt - sie ist selbstverliebt, wichtigtuerisch und faul, also schlicht ein Biest. Die Reise selbst, also das ungewöhnliche Naturerlebnis, spielt dabei eine Nebenrolle, wird schließlich zur reinen Kulisse. "Sommer mit Emma" ist also kein Reiseroman oder gar einer übers Bootfahren, sondern letztlich ein Familienpsychogramm. Spannung bezieht die chronologisch nicht immer präzise Geschichte vor allem daraus, dass eine große Katastrophe, die Havarie der gesamten Familie also, immer unausweichlicher erscheint.

Plot und Setting des Romans sind prinzipiell okay, stellenweise sogar recht originell, aber trotzdem wollte es diesem Buch nicht gelingen, mich zu packen, was nach meinem Dafürhalten vor allem daran liegt, dass wenigstens drei der fünf Perspektiven nicht so recht funktionieren, nämlich die der Jugendlichen Lea, Japser und Can. Lea ist über alle Maßen naiv, was man ihr ob der behaupteten Intelligenz nicht immer abnimmt, und die Schilderungen aus Jaspers oder Cans Sicht ließen mich oft fremdschämen, denn es gelingt den Autorinnen nicht, den beiden Jungs glaubwürdige Stimmen zu geben. Schade ist auch, dass die Art des Reisens letztlich keine wichtige Rolle spielt, das Hausboot also genauso gut ein Wohnmobil oder Ferienhaus sein könnte. Über die Eigenarten dieser Urlaubsform erfährt man jedenfalls wenig, außer, dass es eng ist und sehr nass werden kann, und, ja, dass man die Fäkalientanks auch mal entleeren sollte.

Immerhin war ich dem Roman ungefähr bis zum Ende des vierten Fünftels relativ zugetan, obwohl mich Daniels Unfähigkeit, Offensichtliches wahrzunehmen, und die bis zum Gehtnichtmehr ausgewalzte Rolle Emmas als eiskalter Engel zunehmend nervten. Die Schlusskapitel jedoch haben mich regelrecht geärgert, und hier vor allem die ziemlich dünne Erklärung für das Verhalten der Seitensprungtochter sowie der - meiner Meinung nach - völlig überflüssige Todesfall.

"Sommer mit Emma" ist ein streckenweise gut erzählter, oft aber nicht ganz konsistenter Spannungsroman, der die Probleme des gemeinsamen Schreibens veranschaulicht, sich leider nicht ganz auf sein Sujet einlässt und beim Versuch scheitert, die Perspektiven adoleszenter Jungs einzunehmen. Das brachiale und nicht ganz schlüssige Ende hat Holzhammerqualitäten, aber bis dahin gibt es durchaus auch unterhaltsame und kluge, gar nahegehende Momente. Übrigens: Borger & Straub legen ihrer belesenen Lieblingsfigur Lea naseweise Schlauheiten in den Mund, darunter jene, dass die Kängurus ihren Namen daher hätten, dass die Aborigines James Cook auf seine Frage, wie diese Tiere heißen würden, in ihrer Sprache mit "Ich verstehe dich nicht" geantwortet hätten, was also die Bedeutung des Wortes "Känguru" wäre. Diese häufig kolportierte Geschichte ist längst widerlegt.

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