Junge Talente. Roman.
André Kubiczek, Rowolth 2002

" Haus der jungen Talente " nannte sich einst ein Jugend-Musikclub in Ost-Berlin. Und jung und irgendwie vielleicht auch talentiert sind sie alle, die Helden aus André Kubiczeks ersten Roman. Da ist erst mal Less, der gerade mit der Schule fertig ist und sich grauenhaft langweilt. Lebt er doch in einem trostlosen Kaff im Harz ,durch "historische Mißgeschicke" auch noch auf der falschen Seite. Auch dieses Jahr- es ist irgendwann Ende der Achtziger- geht er wieder durch die Hölle dumpfer Bierseligkeit beim alljährlichen Frühlingsfest. Da taucht unversehens die punkig-exzentrische Radost aus dem fernen Berlin auf, und nichts ist wie vorher. Schwer beeindruckt beschließt Less, der dörflichen Enge den Rücken zu kehren und macht sich ebenfalls in die Hauptstadt auf. Durch seinen Onkel Wanja, der wegen Protest gegen die Biermann-Ausbürgerung aus seinem Job flog, gerät er mitten hinein in Parties, auf denen sich späte Hippies, Anarchos, allerhand echte und eingebildete Künstler tummeln, die alle in verranzten Hinterhofbuden in Prenzlauer Berg leben. Da ist der Punker Beck, den Less an der Wurstbude Ecke Schönhauser Allee kennenlernt, da ist der "Lyriker" Robert, dessen Gedichte keiner ertragen kann, oder der schwule Anarchist Nathanael, der unverständliches Zeug daherfaselt, da ist die flippige Irene, mit der Less eine mißglückte Liebesnacht im Hochbett verbringt. Er nimmt einen Job bei der Post an, klappert mit seinem Fahrrad das winterliche Berlin ab, verliebt sich aufs neue, diesmal in die Punksängerin Dani....Doch ein Happyend gibt's erst mal nicht, alles gerät immer mehr aus den Fugen, das Ende naht. Der Autor widersteht der Versuchung, sein Buch mit dem großen Knall-dem Mauerfall-enden zu lassen, aber zwischen den Zeilen ahnt der Leser den bevorstehenden Umbruch.
Kann man dem Thema Jugend und Leben in der DDR, Prenzlauer-Berg-Szene etc. noch etwas Neues abgewinnen, ohne in altbackene Klischees zu verfallen? Dem 33-jährigen Kubiczek gelingt es tatsächlich, diese Fallen zu umgehen. Anders als sein Schriftstellerkollege Thomas Brussig ( "Sonnenallee" und "Helden wie wir")reduziert er seine Figuren nicht auf satirisch präsentierte "Typen", die bestimmte Merkmale und Gewohnheiten des Ostens auf die Spitze treiben. Seine Figuren sind ,egal, ob extravagant oder alltäglich, Individuen. Allen bringt er die gleiche fast zärtliche Aufmerksamkeit entgegen- seien es jetzt Less' schräge Freunde, eine spießige Kollegin oder ein Kneipen-Proll, dem er zufällig begegnet. Beim Lesen hatte ich das Gefühl: Ja, diese Leute kenne ich. Genaue Beobachtung, leise Ironie, ohne die Figuren der Lächerlichkeit preiszugeben- das ist die Stärke des Autors. Subtile Komik anstelle derben Klamauks- z.B. wenn der Held mit seinem Postfahrrad im Schneematsch ausrutscht und mit anrührender Sorgfalt versucht, die verwischten Adressen zu lesen. Less ist ein moderner Holden Caulfield ("Der Fänger im Roggen")des Ostens, ein symphatischer Loser, der eigentlich nur raus will aus dem Kleinbürgermief, vom freieren Leben in der Großstadt träumt und dort erst mal durch alle möglichen Schwierigkeiten stolpert. Ein bißchen Entwicklungs-ein bißchen Schelmenroman.
Nun gibt es auch einige Mängel: Die Sprache ist manchmal etwas schwerfällig, und es gibt keine richtige Handlung, keinen Spannungsbogen- alles dümpelt ein bißchen lethargisch vor sich hin und steigert sich erst am Ende zum unerwarteten Chaos. Interessante Ideen und Handlungsfäden verlaufen ins Nichts, man hat bisweilen den Eindruck, als könne der Autor mit seinen eigenen, lebensvollen Charakteren nix anfangen. Radost, am Anfang geradezu als Lichtgestalt eingeführt, taucht nicht mehr auf, auch Irene verschwindet einfach (in den Westen) Da macht es sich der Autor, der durchaus selber als "junges Talent" gelten darf, zu einfach. Seine Figuren hätten mehr Spielraum zum Agieren verdient.

 

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