Regenroman.
Karen Duve, Ullstein 2000
(auch als Hörbuch)

Das habe ich seit Süskinds "Parfüm" nicht mehr erlebt: Ein Buch, das mich nicht mehr losläßt, obwohl von vorn bis hinten voller Ekelszenen, das mich im Gegenteil immer mehr hineinzieht und fasziniert. Zartbesaitete Naturen seien gewarnt: Die Autorin erspart ihren Lesern und Protagonisten nichts.
Gleich am Anfang präsentiert sie uns eine Wasserleiche. Es folgen: Eß-und Brech-Anfälle, Matsch und Modder, schleimige Schneckenviecher in erschreckender Zahl, ein ertränkter Hund und eine Vergewaltigung. Akustisch begleitet vom permanent tröpfelnden, plätschernden, prasselnden Regen, der nach und nach endgültig zerstört, was vorher schon angeknackst war-von Hausfundamenten bis zu zwischenmenschlichen Beziehungen.
Leon, ein Hamburger Schriftsteller mit Kontakten zur Halbwelt und seine hübsche, aber an Bulimie und mangelndem Selbstbewußtsein leidende Frau Martina (diesen Namen hat sie sich aufzwingen lassen, weil ihm der echte nicht gefiel!) beziehen ein abgelegenes Haus in einer morbid-romantischen Moorlandschaft Mecklenburgs. Hier will er in Ruhe die Biographie eines alternden Zuhälterfürsten aus St.Pauli vollenden. Eine Auftragsarbeit, die sich als Pakt mit dem Teufel erweist. Nicht nur die Ganoven bedrohen das traute Heim, sondern auch morsche und absackende Grundmauern, bis schließlich alles auseinanderbricht...
Ein makabres Verfallsszenario, eindringlich-bildhaft beschrieben, die Personen sind lebendig und treffend gezeichnet, auch wenn sie nicht immer beim Leser Sympathie wecken. Die klare, flüssige Sprache hat eine gewisse Leichtigkeit, die im krassen Gegensatz zur düsteren Szenerie steht. Duve gelingt der Balanceakt zwischen Tragik und Komik, niemals geleitet sie ins Schwermütig-Depressive ab. Zudem überrascht sie mit einem Sammelsurium ständig neuer skurriler Einfälle und Personen. So entpuppt sich ein biederer Dorfkrämer als heimlicher Transvestit und gerät unter Mordverdacht, und zwei äußerlich wie charakterlich extrem unterschiedliche Schwestern mischen das Geschehen kräftig auf. Knallharte Spannungselemente verbinden sich mit der unwirklich-mysteriösen Atmosphäre, die über dem Moor liegt. Mal steht der Leser mitten in einem Krimi, mal in einem verwunschenen Märchenwald. Allzu platte, voraussehbare Lösungen werden vermieden, deshalb laufen manche Erzählfäden ins Leere. So geht Martina nicht, wie zunächst angelegt, eine Beziehung mit der Nachbarin ein, sondern flieht als Einzige aus diesem Mikrokosmos des Verfalls, und entledigt sich- zumindest symbolisch- ihres Kindheitstraumas.
Bester Lesestoff für Freunde des abgründigen und schwarzen Humors.


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