Ping.Pong. Roman.
Birand Bingül, Knaur lemon 2002
Das Leben ein Pingpongspiel- das ist die Philosophie des Ich-Erzählern Hakim Kahraman. Der 27-Jährige ist Medizinstudent, Radiomoderator und leidenschaftlicher Tischtennisspieler. So nennt er das einleitende Kapitel "Vorspiel", und das beginnt dann so: "Heute habe ich mir Noppen gekauft. Zum ersten Mal in meinem Leben. Nein, keine Pariser." Doch leider muß er bald erfahren: Noppenbelag ist unter den Spielern seines Fünftligavereins verpönt. Sein bester Freund Simon läßt ihn mitten im Spiel stehen, um sich mit seiner Ex Charlotte zu amüsieren. Und auch sonst läuft bei Hakim alles schief. Da hat er eine tolle Idee für eine neue Radiosendung. Doch der angebliche Probelauf wird zum Skandal und Hakim zum "Radiomonster". In der Annahme, daß "Hakim hilft" nicht über den Äther geht und all die Anrufe von Selbstmördern, Krebskranken und von Liebeskummer Geplagten gefakt sind, verarscht er die Leute nach Strich und Faden. Erst hinterher erfährt er, daß die "hate radio" Sendung echt war und mit ihr fast alle Anrufer. Wieder einmal hat ihn sein gerissener Chef für seine miesen Ziele mißbraucht. Zutiefst erschüttert in seinem heilen Weltbild in der beschaulichen Medienstadt Köln, fällt er fortan von einer Sinnkrise in die andere......
Der Held stolpert von Panne zu Panne, taumelt durchs Nachtleben, und auch im
Tischtennisclub läuft nichts, wie es sollte. Das macht uns Hakim symphatisch. Wer könnte sich nicht in irgendeiner Form mit seinen Leiden identifizieren: Fiese Kollegen, zickige Mädels, und nicht mal der weise, alte Großvater in Istanbul weiß einen Weg aus der Krise.
Birand Bingül, der selber als Moderator beim WDR in Köln arbeitet, wehrt sich gegen die Behauptung, er sei ein "deutschtürkischer Popliterat". Zunächst erinnert tatsächlich einiges in seinem Roman an Stuchrad-Barres "Soloalbum": Auch hier wird der Held von der Freundin verlassen, irrt ziellos durch Parties, Clubs und Bars, hat all die Probleme, die ein "twenty-something" in der Spaßgesellschaft eben hat. Auch dreht sich Hakim meist um sich selbst. Doch- und das ist der Unterschied zu den meist drögen Typen bei Barre, Kracht und Co- er tut dies auf wohltuend selbstironische Art. Bingüls Protagonist besitzt bei aller Selbstbespiegelung durchaus Humor, Grips und einen gewissen Looser-Charme. Übt er sich am Anfang noch in coolen Sprüchen, so wird er Ton im Laufe des Romans deutlich nachdenklicher. Hakim macht tatsächlich eine Entwicklung durch, wenn er auch nicht genau weiß, wo die hinführt...
Der Autor besitzt ein sicheres Gespür für Personen und Situationen. Auch die Nebenfiguren kommen beim Leser gut rüber. Ob nun der skrupellose Medien-Mogul Alexander Wachtberg, Hakims schlagfertige Haushaltshilfe Özlem oder sein nerviger Sportskumpel Noppen-Norbert, der immer im schlechtesten Moment auftaucht und ihm mit guten Ratschlägen auf den Geist geht- das ist gut beobachtet und erzeugt Deja-vu-Erlebnisse beim Leser. Und wer Situationskomik mag, kommt voll auf seine Kosten. Hier brilliert Bingül mit unschlagbaren Ideen. Absolute Highlights sind Hakims unfreiwillige Hate-Radiomoderation, oder wie er in einem Anfall existentialistischer Sinnkrise seine gesamte Ikea-Einrichtung auseinanderbaut und es dann zwischen ordentlich geschichteten Bretterstapeln mit seiner Ex treibt. Und die Noppen kommen doch noch als Kondom vor. Die Einblendungen von Regeln und Taktik des Tischtennisspiels und die imaginären Spiele mit dem berühmten Spieler Waldner sind auch für Nicht-Sportler amüsant zu lesen. Aber leider fehlt an Spannung. Der Autor treibt seinen Helden von einer skurrilen Szene zur anderen, und das ist auch sehr witzig, doch darüber verliert er oft die Handlung aus den Augen. Ähnlich orientierungslos wie Hakim irrt der Leser durch das Buch, immer in der Erwartung, daß endlich mal was "Richtiges" passiert. Das zieht die Story in die Länge, und auch das Ende wirkt verschwommen. Störend fand ich auch, daß Dialoge durch Gedankenketten unterbrochen werden- das hemmt den Lesefluß enorm. Etwas Straffung und mehr "Show, don't think" hätten dem Buch gutgetan.
Anrührend wiederum der Besuch Hakims beim sterbenden Großvater am Bosporus, und angenehm unprätentiös der Umgang des Autors mit seiner Herkunft. Er und seine Figur sind Türken der 3.Generation und voll integriert, sie fühlen sich auch nicht zwischen zwei Kulturen "zerrissen". Dieses Klischee, sagt Bingül, wollte er vermeiden.