Nimm mich mit. Roman.
Anke Stelling/Robby Dannenberg, Fischer Verlag 2002
Zwei junge Autoren schreiben zusammen einen Roman, immer abwechselnd aus verschiedenen Perspektiven. Ein durchaus interessantes Experiment und nun schon das zweite Buch des Ost-West-Autorenduos. Anke Stelling, Jahrgang 1971, stammt aus Ulm, Robby Dannenberg, drei Jahre jünger, aus Leipzig. Beide haben dort am Literaturinstitut studiert. Ihr erster Roman "Gisela" war wegen seiner "Gossensprache" und seinem harten Realismus umstritten. In "Nimm mich mit" ist die Sprache moderater ,der düstere Realismus aber bleibt wie eine dunkle Wolke über 314 Seiten hängen.
Schauplatz ist das Leipzig der Endneunziger. Bernd, um die vierzig, ist der Prototyp des desillusionierten Westlinken, natürlich ist er Lehrer - hier schrammen die Autoren haarscharf am Klischee vorbei. Bernd zieht in den Osten, weil er sich dort einen alten Traum erfüllen will: Ein eigener Buchladen! Bei den Ossis hofft er seine früheren Ideale und Utopien wiederbeleben zu können. Doch bald tritt Tristesse anstelle der Aufbruchseuphorie. Auch die Leipziger Fußgängerzone ist inzwischen vom Westkapital erobert, sein Laden muß mit der Kette Hugendubel konkurrieren, sein Kollege ist ihm zu schlampig, und unter den alten "Ost-Hippies" fühlt er sich fremd. Als einsamer Wolf zieht er am Weihnachtsabend durch die ausgestorbene, kalte Stadt und trifft dort auf eine weitere einsame Stadtnomadin. Die 24-jährige Miriam, die Weihnachtsbäume verkauft und drogenabhängig ist. Ohne festen Wohnsitz, zieht sie bereitwillig bei ihm ein. Er läßt sich von ihr finanziell ausnutzen, um nicht alleine zu sein, näher kommt sich das ungleiche Paar kaum, jeder sieht im anderen nur einen letzten Rettungsanker vor dem Alleinsein in der winterlichen Stadt.
Anke Stelling übernimmt den Part des Bernd und erzählt auktorial, Robby Dannenberg den der Miriam in der Form der Ich-Erzählerin. Bernd ist präziser und konsequenter durchgezeichnet, es gelingt der Autorin erstaunlich gut, sich in die männliche Gefühlswelt einzufinden. Entstanden ist das mitunter beklemmende Porträt eines Mannes, der sich nicht zurechtfindet in seinem Leben- weder im Westen noch im Osten. Miriam dagegen wirkt vage und bisweilen flach- sie ist keine schillernde Christiane F., außer einem hübschen Gesicht und dem "exotischen" Attribut der Drogenabhängigkeit hat sie nicht viel zu bieten. Über ihre Vergangenheit erfährt der Leser wenig, auch ein "Geheimnis" gibt es nicht bei ihr, wie der Klappentext vollmundig verspricht.
Mir als Leserin bleiben leider beide Figuren fremd. Auch wenn es den Autoren weitgehend gelingt, Menschen und Situationen stilsicher einzufangen, ein Problem habe ich: Die Figuren sind mir unsymphatisch und berühren mich nicht. Zwei Egomanen, die im Grunde nur um sich und ihre Befindlichkeiten kreisen und sich über 300 Seiten aneinander vorbei bewegen. Schon die rüde Art, wie Bernd seine Ex-Freundin und seinen Kollegen behandelt, verhindern jede Identifikation. Auch bei Miriam finde ich nichts, was sie mir nahe bringen könnte. Nur emotionale Distanziertheit hin bis zur seelischen Kälte, das größte Glück ist für sie ein "guter Schuß", dafür nutzt sie dreist Bernd und andere aus.
Vielleicht würden diese tristen Figuren in einem größeren Kontext, in Kontrast zu anderen, stärker wirken. Wenn sie aber zu zweit ein ganzes dickes Buch bestreiten sollen, dann wird irgendwann ein ödes Psychodrama draus. Bis zur Mitte habe ich noch mit Spannung gelesen, dann ließ mein Interesse nach und ich habe mich bis zum Ende durchgequält. Es passiert einfach nichts von Interesse. Er liebt sie nicht, sie liebt ihn nicht, aha, das hat sich der Leser schon lange gedacht ,und er hat den Verdacht, daß dies nix mit dem Osssi-Wessi- Gegensatz zu tun hat, sondern damit, daß die Protags sich nur für sich selbst interessieren.
Die interessanteste Person des Romans spielt leider nur eine Nebenrolle: Tamara, eine ebenfalls drogensüchtige Prostituierte, die ihre Kunden im Wohnwagen empfängt. Zu ihr empfindet Miriam zumindest ansatzweise so etwas wie Zuneigung und Respekt. Daß sie am Ende nicht mit Tamara mitgeht, sondern bei Bernd bleibt und sich tags drauf den Goldenen Schuß setzt, ließ mich ratlos zurück.
Für eine Liebesgeschichte zu spröde, für einen Nachwende-Roman zu trist, insgesamt leider zuviel verschenktes Potential.