Die gefundene Frau. Roman.
Rita Kuczynski, Claassen Verlag 2001

 

Rita Kuczynski, geboren 1944 in Ostpreußen, gehörte zu DDR-Zeiten einer bekannten Intellektuellen-Familie an und arbeitet seit den achtziger Jahren als Schriftstellerin und Journalistin. Gerade erschien ihr neuestes Buch "Die Rache der Ostdeutschen", eine Dokumentation über PDS-Wähler. Ihr vorletztes dagegen ist ein Roman voll origineller und ungewöhnlicher Situationen.
Die Icherzählerin nennt sich Agnes und befindet sich am Anfang in einer Notübernachtung für Obdachlose. Eigentlich heißt sie anders, aber das ist unwichtig, sie will ein völlig neues Leben mit neuer Identität beginnen. Der Leser erfährt noch, daß der Konkursverwalter ihr fast alles genommen hat. Nur den Grabstein der Großmutter, der von einem berühmten Künstler gestaltet wurde, hat er übersehen. Mit Hilfe eines schlitzohrigen Steinmetzen verkauft sie den Stein und kommt so ans Grundkapital für die neue Existenz. Noch im Heim lernt sie den Straßenmusiker Moses Grossmann kennen, der sie treu begleitet bei ihren Streifzügen durch die Stadt und immer zu rechten Zeit zur Stelle ist. Sie mietet eine Wohnung, die direkt an einem Punkt liegt, wo die U-Bahn aus dem Tunnel auf einen Hochbahn-Viadukt fährt. Bis auf einen Futon und einen Laptop mit Internet-Anschluß besitzt sie zunächst nichts. Das Internet und die eigene Homepage werden ihr zur neuen Heimat. Wie viele Autoren kokettiert auch Rita Kuczynski mit den Möglichkeiten der Technik. E-Mail und Website als Orte, auf denen man auf der ganzen Welt zuhause ist, Handy und SMS, mit denen man überall mobil kontakten kann.
Ein moderner Großstadtroman, sagt der Klappentext. Ich würde es eher Großstadtmärchen nennen, was durchaus positiv gemeint ist. Für einen realistischen Großstadtroman wirken die Figuren zu entrückt von normalen Alltag, geht alles ein bißchen zu glatt und zu schnell. Da findet Agnes sofort eine supergünstige Wohnung, weil die Besitzer lieber ins Altersheim ziehen. Da findet der Steinmetz gerade noch das letzte Blatt Dokumentenpapier, auf dem er ihr eine Geburtsurkunde mit neuem Namen fälschen kann. Und zu guter Letzt bekommt sie sogar einen Traumjob, nur durch das recht blauäugige Statement in der Bewerbung, eine eigene Homepage sei lebensnotwendig, weil sie "wie eine Wohnung wäre" .Das allein würde recht unglaubwürdig wirken, wären da nicht einige sehr poetische Momente. Zum Beispiel, wenn Agnes Lichtreflexe und Schatten der auf -und abfahrenden U-Bahnen an der Wand ihres leeren Zimmers beobachtet, wenn sie über einen leeren Markt läuft oder durch unterirdische U-Bahn-Verbindungsgänge, die Klänge der Musiker im Ohr und die Installationen der Künstler vor Augen. Für allerhand schräge Kunst hat die Autorin ebenfalls eine Schwäche. Erst der Grabstein, dann der Steinmetz, und dann Kati, die sich Galeristin nennt. In Wirklichkeit stapelt sie für wenig Geld die Kisten anderer Leute in einem stillgelegten U-Bahn-Tunnel. Als durch einen Wasserrohrbruch alles zusammenstürzt, erklärt sie das entstandene Chaos einfach zur Kunst und das Gewölbe zur Galerie. Satire auf durchgeknallte Großstadtkunst? Oder geniale Vision im Beuys'schen Sinne? Der Leser mag sich sein Teil denken. Daß Agnes' Kisten mit wenigen Habseligkeiten aus der Vergangenheit dabei ebenfalls untergehen, besiegelt nur die Loslösung vom früheren Leben.
Die Stadt als leicht surreale Kulisse für Menschen, die ständig unterwegs vom einen Ende zum anderen sind, U-Bahnen, Technik, Kunst als Symbole für Mobilität und Modernität, das funktioniert hier durchaus. Eine Mischung aus stiller Poesie und Dynamik, aus Umtriebigkeit und Sehnsucht nach Heimat. Nur: Eine Prise Romantik wäre nicht schlecht gewesen. Die angeblich so große Liebe zwischen Agnes und Moses kommt beim Leser nicht ganz rüber, wird nüchtern per SMS und E-Mail abgehandelt, von Leidenschaft und Gefühl ist kaum etwas spürbar. Vielleicht, weil eine Liebesgeschichte doch mehr Ruhe braucht statt Herumgerenne und Nähe sich nicht allein durch Kurzbotschaften vermitteln läßt.


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