Das Eis, das bricht. Roman.
Sabine Friedrich, Eichborn Verlag 2002.



Robert, erfolgreicher Architekt aus München, ist Anfang vierzig und hat die Nase voll von all den Erfolgsmenschen um sich herum und von seiner egozentrischen und neurotischen Geliebten.. Da kommt ihm die Bitte eines Freundes, ein Haus an der Ostküste der USA auszubauen, gerade recht. Er flieht in die Einsamkeit von Cape Cod in Maine und widmet sich ganz seiner Arbeit. Doch plötzlich wird er aus seinem Einsiedlerdasein gerissen, als er nach einem Wintereinbruch in einem Wald eine bewußtlose, schwer verwundete Frau findet. Die läßt ihn nicht mehr los, auch als er längst wieder nach München zurückgekehrt ist.
Nach einem alten indianischen Glauben ist ein Mensch, der einem anderen das Leben rettet, für immer mit diesem verbunden. Robert fühlt sich auf seltsame Weise mitverantwortlich für die Fremde, in die er nicht einmal verliebt ist und mit der er noch nie gesprochen hat. Doch irgendwie spürt er, daß hier eine Chance liegt, aus seinem langweiligen, unbefriedigenden Leben auszubrechen. Als sie aus dem Koma erwacht, fliegt er sofort in die USA zurück. Und erfährt zu seiner Verwunderung, daß sie nicht nur Deutsche ist, sondern auch aus München, und daß sich ihre Wege hin und wieder bereits gekreuzt haben. Sina Fischer, Mitte dreißig, war ebenfalls aus Überdruß am Münchner "Szeneleben" nach Amerika aufgebrochen, lernt dort den Lebenskünstler und Kleindealer Jacques und dessen kleinen Sohn kennen und fährt mit ihnen in einem Wohnwagen wochenlang von Florida in Richtung Norden.. Die beiden verbindet eine Art Bruder-Schwester-Beziehung und der Wunsch nach Freiheit. Bis zu jener Nacht im verschneiten Wald. Was dann passiert ist, liegt im Dunkel...
Sabine Friedrich, Jahrgang 1958, erzählt in ihrem zweiten Roman die Geschichte einer ungewöhnlichen Annäherung zwischen zwei Menschen unter extremen Bedingungen. Nicht auf irgendeiner Münchner Party findet man sich, sondern draußen in der Wildnis, auf sich selbst zurückgeworfen durch Krankheit und Einsamkeit. Zunächst deutet wenig auf eine Liebesgeschichte hin. Erst einmal müssen sich die Figuren ihrer Vergangenheit stellen, ihren verschütteten Gefühlen und Wünschen, bevor sie etwas Neues wagen können. Erst am Ende taut und bricht das Eis, das hier als Metapher für menschliche Seelenzustände steht.
Das klingt nach schwerblütigem Psychodrama. Doch die Autorin erzeugt durch bewußten Einsatz von Sprache und Erzähltechnik eine Dynamik, die den Leser schnell in die Handlung hineinzieht und das Abgleiten ins allzu Melodramatische vermeidet. Abwechselnd wird aus Sinas und Roberts Perspektive die Vorgeschichte erzählt, bis die Handlungsfäden aufeinander zulaufen. Indem sie entweder sehr kurze Sätze verwendet oder ganze Abschnitte nicht durch Punkte voneinander trennt, sondern durch Kommata aneinanderreiht, erzeugt Sabine Friedrich eine geradezu atemlose, intensive Atmosphäre. Offen, lakonisch und bisweilen bis zur Schroffheit ehrlich sind die Dialoge. Ein Stil, der für manch einen gewöhnungsbedürftig sein mag. Gefühle und Beziehungen werden nicht beschrieben, sondern zwischen den Zeilen angedeutet, so daß dem Leser Spielraum für eigene Gedanken bleibt. Auch wenn die Handlung manchmal konstruiert wirkt- besonders in Hinsicht auf die Vorgeschichte des Unfalls- das Buch läßt einen nicht kalt, zwingt den Leser, sich auf diese Figuren einzulassen. Aus zwei Yuppies in der Midlife-Sinnkreise werden verletzbare Individuen mit einer Geschichte, denen man sich annähern kann. Der Schluß kann dann auch kein klassisches Happy-End sein, eher die Ahnung von einem Aufbruch, schwankend zwischen Zweifeln und verhaltenem Optimismus.

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