Goldhorus.
Roman
Sabine Wassermann, Eichborn Verlag, Frankfurt/Main 2000.

Amunhotep, Sohn des Pharao Thutmosis III. des Großen und Kronprinz von Ägypten, wird auf abenteuerliche Weise aus syrischer Gefangenschaft befreit und kehrt zurück in seine Heimat, wo er längst für tot erklärt und ein anderer Leichnam an seiner Stelle bestattet worden ist. Noch auf dem Weg zurück muß er erfahren, daß seine geliebte Frau gestorben ist, ein Ereignis, das den arroganten jungen Mann völlig aus der Bahn wirft. Die Umstände ihres Todes und die Tatsache, daß sein Vater sich vollkommen auf seinen neuen Wesir Seûna stützt, veranlassen ihn zu Nachforschungen, die ihm immer neue Rätsel stellen, immer mehr Opfer in seiner Umgebung fordern und ihn in immer größere Gefahr bringen. Als er beinahe einem Anschlag zum Opfer fällt, nichts mehr zu verlieren hat, kommt er dem Geheimnis, das zum Tod seiner Frau führt, auf die Spur, und mit der Hilfe eines Erzfeindes gelingt ihm der Befreiungsschlag aus der Umklammerung dieser Intrige.

Amunhotep ist kein sympathischer Protagonist - zumindest nicht zu Beginn der Geschichte; er ist ein sperriger Charakter. Geprägt von der Erziehung zum Gottkönig, trägt er Eigenschaften, die sich auch in den späteren Darstellungen seiner Person als Pharao Amenophis II.
wiederfinden, nämlich der eines wahren Herkules, der auch ohne die Hilfe von Truppen mit Feinden fertigzuwerden verstand. Ein solcher Charakter aus der Feder einer Frau, konsequent geschildert in seiner Ambivalenz und überbordenden Männlichkeit, ist eine Seltenheit. Umringt wird dieser bei all seiner Selbstherrlichkeit dennoch sehr menschliche, emotional verletzbare Mann von zahlreichen Charakteren, von denen kein einziger den Makel einer modernen europäischen Persönlichkeit in frühzeitlicher Umgebung trägt. Mag auch vieles in diesem Konstrukt des Lebens im Alten Ägypten des Mittleren Reiches mangels Quellen auf Spekulation beruhen, so ist diese dennoch klar strukturiert, stimmig und glaubwürdig, eine mögliche Deutung und Rekonstruktion der Quellen neben vielen anderen.

Ich habe dankbar bemerkt, daß hier nicht der geringste Versuch unternommen wurde, dieser Vergangenheit matriarchalische oder
feministische Züge unterzuschieben, wie das so oft geschieht in Romanen, die sich mit vor- und frühgeschichtlichen Kulturen befassen. Die Regentschaft der Pharaonin Maatkarê Hatschepsut, die der Herrschaft des Thutmosis III. vorausging, wird in ihrer Bedeutung als Abschluß einer jahrtausendelangen Ära keineswegs abgewertet - aber auch nicht mystifiziert. Thutmosis setzte seit seiner Inthronisation alles daran, das Gedächtnis seiner Stiefmutter auszulöschen, und dieser Konflikt wird in Sabine Wassermanns Deutung zur Ursache für grundlegende Charakterzüge und Handlungsweisen des Pharaos. Und gerade die Tatsache, daß die durch historische Belege erwiesenen (auch späteren) (Selbst)Darstellungen und Handlungsweisen der historischen Persönlichkeiten als Grundlage einer stimmigen psychologischen Fundierung der Charaktere dienen, ist ein besonders hervorzuhebendes Qualitätsmerkmal dieses Romans. Hinzu kommt, daß die Perspektive wie eine over the shoulder camera ständig den jungen Kronprinzen Amunhotep verfolgt, somit dem Leser scheinbar nur dessen Perspektive bietet. In Wirklichkeit liefert der Roman, da ein Leser nie identisch ist mit der darin handelnden Person, durch die Beobachtungshaltung einen Kenntnisvorsprung, der bisweilen bestätigt, manchmal raffiniert überlistet wird. Dies ist eines der besonderen, immer wiederkehrenden Spannungsmomente des Romans.

Insofern ist es beileibe keine Schande, zuzugeben, daß mir der Goldhorus sogar den Schlaf geraubt hat, weil es sehr schwer war, das Buch einfach aus der Hand zu legen, ein Buch, das ein farbenfrohes, glaubwürdiges Bild des Lebens im Alten Ägypten erschafft, und darin eingebettet eine spannende Geschichte um Macht und Angst.

Das Buch bei Amazon

zurück

©2001 Iris Kammerer - Kontakt
Alle Rechte vorbehalten - All rights reserved