Die Asche meiner Mutter. Irische Erinnerungen
Frank Mc Court, btb/Goldmann Berlin 1998.
(orig. Angela's Ashes. Dt. von Harry Rowohlt)

"Wenn ich auf meine Kindheit zurückblicke, frage ich mich, wie ich überhaupt überlebt habe."
Das ist einer der ersten Sätze in Frank McCourts autobiographischem Buch über seine Kindheit und Jugend in New York und Limerick bis zu seiner Rückkehr in die USA im Alter von 19 Jahren. Und schon nach wenigen Seiten war mir klar, daß dieser Satz kein Zeichen von Selbstmitleid ist.

Irland, die grüne Insel, ist ein schönes Land, in dem es für meinen Geschmack etwas zu viel regnet, dessen Bewohner in weiten Teilen beim Genuß alkoholischer Getränke kein Maß zu haben scheinen, das ein weinerliches Verhältnis zu seiner Geschichte hat und gespalten ist zwischen moderner Lebensart und einem an Aberglauben grenzenden Katholizismus irischer Prägung.

Frank McCourt beschreibt all dies, allerdings aus der Perspektive einer dort mittlerweile (Gott sei Dank!) weitgehend untergegangenen Welt, der Armut, der Slums, der Not. Gnadenlos schildert McCourt diese Welt, ihre Verzweiflung ebenso wie die bodenlose Ignoranz, die Rücksichslosigkeit und Unmenschlichkeit, all das, was die Armen nicht ändern können, ebenso wie das, was sie ändern könnten, aber nicht wollen!
Der Vater versäuft das Stempelgeld, während die Kinder zuhause hungern. Krankheitssymptome werden als Begleiterscheinungen des Wachstums abgetan. Die Schule wird als lästig erlebt, nicht zuletzt weil ein "richtiger Mann" schließlich mit 14 als Botenjunge anfängt, mit 16 seine erste Pint trinkt - und so schließt sich der Teufelskreis aus Ignoranz und Not, aus dem Frank nur mit unlauteren Mitteln ausbrechen kann.

Trotzdem muß man sagen: James Frey hätte diesem Buch vor seiner Veröffentlichung keine Chancen eingeräumt, so eklatant verstößt McCourt gegen alle Regeln, "wie man einen verdammt guten Roman schreibt", obwohl es dramaturgisch und narrativ eindeutig als Roman angelegt ist. Erstaunlicherweise ist "Angela's Ashes" seit seinem Erscheinen ein internationaler Renner gewesen, wurde mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet und erfolgreich verfilmt.

Es packt einen innerhalb weniger Seiten so sehr, daß man gerne riskiert, sich gegen den Rat von Franks giftiger, bigotter Oma die Augen zu verderben. Das Buch ist ein Feuerwerk des Sarkasmus. Wörtliche Rede wird nicht herausgehoben, verwischt sich mit indirekter Rede. Mit wenigen groben Strichen skizziert McCourt die Szenerie, die man schon aus Dickens' Romanen kennt. Seine Charaktere strotzen vor Lebendigkeit, man liebt sie oder verabscheut sie, nicht selten ändert man seine Meinung über sie. Man verfolgt minutiös Franks Entwicklung und geistigen Werdegang, der schonungslos vor unseren Augen seziert wird; denn auch er tritt in den Teufelskreis ein.

Ich muß gestehen, daß ich der Bedeutung des Titels noch nicht auf die Spur gekommen bin, denn Franks Mutter Angela lebt am letzten Tag des Buches noch - allerdings wohl nicht mehr zu der Zeit, als McCourt es verfaßte.

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