MATTHIAS ALTENBURG:
LANDSCHAFT MIT WÖLFEN




Ein zynisch angelegter Protagonist entdeckt (?) die Welt. Zumindest erfindet er Frankfurt (a.M.) neu: als absurdes Panoptikum jener beiläufigen Existenzen, deren heutzutage die Welt (über)voll zu sein scheint.

Die Fülle schräger und blutleerer, verkümmerter Gestalten täuscht nicht über die Einfallslosigkeit hinweg, der sich der Verfasser bedient hat, um seine Wenigkeit auszudrücken (die autobiographische Anspielung im Erzähler/Protagonistennamen "Neuhaus" auf den Verfassernamen "Altenburg" ist nicht zu übersehen). Schwach religiös verklammerte Spott- und Hohntiraden wechseln mit larmoyanter Geschwätzligkeit, um einzig und allein einem unreflektierten nihilistischen Grundgefühl Ausdruck zu geben, das einmal den bislang zurückgehaltenen "gelben Hustenschleim" loswerden will.

Ja: Es sind Spuren gelegt in Hülle und Fülle. Tiermotive - ein quasi barocker Vanitas-mundi-Gestus, biblisch-religiöse Einsprengsel. Aber all das gelingt nicht zu einer Einheit, sondern fährt auseinander zu einer widerwärtigen und gefühllos heruntergeschriebenen Plattitüde, die zusammenhangslos nach einem Leser sucht, der sich nicht die Mühe machen will, etwas Bedeutsames zu entdecken. Selbst das darbegotene Menschenbild ("homo homini lupus") ist nicht neu.

Der Roman liest sich wie eine exemplarische Bestätigung dieser Annahme bzw. Theorie. Altenburg eifert möglicherweise seinem Vorbild und Übervater Houellebeqc nach - und bleibt damit ebenso nichtssagend wie dieser. Er zeigt allenfalls, daß die Literatur heute, wenn sie sich nicht auf Werte zurückbesinnt, verstümmelt und defizitär bleiben wird. Wo nur noch abbildend-naturalistisch (allerdings in perspektivisch-vereinseitigter und verengter Form) ein Gesellschaftsausschnitt dargeboten wird, bleibt Literatur hinter ihrer Möglichkeit und ihrem Auftrag zurück: die Welt zu verändern und zu gestalten.

In diesem Roman wird nur noch schulterzuckend und resigniert das Handtuch geworfen vor einer scheinbaren Faktizität, die der Leser als "hingekotzten" Auswurf konsumieren darf. Mag sein, daß gelegentlich Widerwille oder andere Emotionen aufkommen: Eindeutig werden sie jedoch nicht. Der abschließende Showdown (konjunktivisch als Möglichkeit verschleiert) bringt weder Reinigung noch Erlösung, sondern ist ein zusätzlich belastendes Faktum, das dem Erzählten in dumpfer Addition hinzuzufügen ist.

Abgesehen davon, daß die Fäkaliensprache Altenburgs jeden einigermaßen zivilisierten Menschen anwidern muß, dringt das Erzählen niemals in eine reflektierende und das Erzählte hinterfragende Distanz vor. Der zur Genüge dargebotene Sarkasmus reicht nicht zur Ironie. Wo z.B. die Banalität einer Party-Konversation gezeigt werden soll, wird lediglich unreifer Spott ausgeschüttet, statt eine distanzierte Bloßstellung zu versuchen.

Die misanthropische Grundstimmung des Romans ist nicht neu. Dergleichen kennt man z.B. aus Schnitzlers Erzählungen. Aber in ihnen geht es eben nicht nur um hilfloses Abbilden, sondern um empörtes Gestalten: Das Falsche, Defizitäre ist immer Auslöser einer Umkehrbewegung oder zumindest einer definitiven Ausweglosigkeit, die den Protest des Lesers evoziert. Altenburgs Roman jedoch zeigt einen vom Leben angewiderten und gelähmten Mittdreißiger, der sich an einer Reihe von (teilweise treffend gezeichneten) Charakteren abarbeitet, um zuletzt am selben Punkt, auf dem er bereits zu Anfang stand, einen blassen Amoklauf zu inszenieren. Es gibt keine Entwicklung, keinen Zuwachs an Erkenntnis.

Dann aber stellt sich die Frage, warum der Protagonist nicht schon zu Anfang des Romans jenen Punkt erreicht hat, der ihm erst zum Schluß zugestanden wird. Denn: Nichts, absolut nichts von all den beschriebenen Erfahrungen trägt irgendwie dazu bei, den Fortgang und Abschluß der Geschichte plausibel zu machen. Die in biblisch-mythologischer Analogie inszenierte 7-Tages-Geschichte bleibt ein unklares und unverbindliches Gemisch aus mehr oder weniger witzigen und interessanten Einfällen und Beobachtungen.
Zur Gestaltung dieses durchaus ergiebigen Stoffes hat es bei Altenburg nicht gereicht.

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