THOMAS MANN:
BEKENNTNISSE DES HOCHSTAPLERS FELIX KRULL

Dieses für Thomas Manns Verhältnisse sehr leichtfüßige Spätwerk (1954) steht
in deutlicher Tradition der Schelmenromane. Aus humorvoll-ironischer Distanz
zeichnet der Autor augenzwinkernd und amüsant ein von vielen heiteren bis
absurd-grotesken Einfällen durchzogenes Panoptikum der bürgerlichen Welt,
die ihre spießige Unbeweglichkeit damit bezahlen muß, von einem Gernegroß
wie dem Protagonisten Krull an der Nase herumgeführt zu werden. Damit ist
bereits angedeutet, daß es dem Buch nicht "nur" um zweifellos gekonnte und
kurzweilige Unterhaltung geht, sondern auch eine Prise Sozialkritik beigemischt
ist, die dem Genre eigentümlich ist, insofern die Figur des Schelms bzw.
des Narren (vgl. Hermann Botes "Till Eulenspiegel") dafür prädestiniert
ist, Fehler und Mängel der Zeitgenossen bzw. der Gesellschaft aufs Korn
zu nehmen und zu entlarven.
Der als Parodie einer auf den schönen Schein bedachten und mit ihren eigenen
Waffen (nämlich vor allem der Präferenz der Sekundärtugenden sowie der vordergründigen
Selbstdarstellung) geschlagenen Gesellschaft angelegte Roman ist in seiner
leisen Komik zugleich eine Persiflage des narzißtischen und amoralischen
Künstlers, dessen Erfolg sich einzig dadurch legitimiert, daß die Menschen
gerne betrogen sein wollen.
So ist etwa die berühmte Szene, in der Krull sich bei der Musterung durch
einen vorgetäuschten Anfall dem unliebsamen Wehrdienst entzieht, paradigmatisch
für die differenzierte Entlarvung der Täuschungsmechanismen, die nur so
lange funktionieren, wie das System unfähig ist, seine eigenen Grundannahmen
und Wertmaßstäbe nicht infrage zu stellen.
Die quasi episodisch angelegte Sequenz von "Streichen" (auf hohem Niveau)
bietet neben ihrer Kurzweiligkeit die Möglichkeit, durch eine Steigerung
eine Dynamik der Amoralität und Gewissenlosigkeit darzustellen, die zwar
wegen der relativen Harmlosigkeit der Taten Krulls nicht dramatisch zugespitzt
ist, aber immerhin dem Leser Raum läßt, über die Folgen des Mißbrauchs der
Gutgläubigkeit nachzudenken.
Krulls hauptsächliches "Operationsfeld", ein Hotel, bietet dem Autor natürlich
alle Möglichkeiten, alle Register seines erzählerischen und schöpferischen
Könnens zu ziehen. Die Figurenzeichnung ist zwangsläufig klischeehaft und
eindimensional, da die Rolle des Schelms (anders als im Bildungsroman) keine
Entwicklung durch Zuwachs an Erfahrung ermöglicht, sondern einen von Anfang
an "mit allen Wassern gewaschenen" Helden erfordert, dessen Aufgabe lediglich
darin besteht, sich die Umstände im Zusammenhang mit seinen effizient eingesetzten
Möglichkeiten für ein Optimum an Eigennutz dienstbar zu machen.
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