ACHIM VON ARNIM:
DIE KRONENWÄCHTER




Der einzige deutsche Roman (von Rang und Namen), der bislang noch nie in eine andere Sprache übersetzt wurde (mit Ausnahme eines abgebrochenen Versuches, das erste Kapitel ins Französische zu übertragen) ist ein typisch romantisches Spiel mit einander überkreuzenden und überlappenden Handlungssträngen, Figurenkonstellationen, Motiven und Bildern. Auf dem Hintergrund eines mittelalterlichen Szenarios wird das zur Abfassungszeit (1817) beliebte Motiv eines hintergründig agierenden Geheimbundes (eben der "Kronenwächter") verwendet, um das vergebliche Bemühen, die "alten Werte" im Sinne der "alten Ordnung" über die Zeiten zu retten, in einem verwirrenden Gewimmel von Figuren und Handlungen zu illustrieren.

Der romantischen Grundforderung, der Roman solle "progressive Universalpoesie" (F.Schlegel) sein, ist u.a. in der Mischung der Gattungen (z.B. durch zahlreiche Einstreuungen lyrischer Elemente) Rechnung getragen. Das Ganze ist als Einheit nicht mehr faßbar und wird zur Entgrenzung der dichterischen Phantasie auf ein zuletzt beliebig iterierbares Geschehen hin. Will sagen: Der Roman blieb trotz seines beachtlichen Umfangs Fragment - und zwar nicht aus Verlegenheit, sondern aufgrund programmatischer Überlegungen frühromantischer Literaturtheorie.

Die streckenweise sehr amüsanten, teilweise aber auch anstrengenden Textpassagen tragen insgesamt zu einem kaleidoskopartigen Verwirrspiel bei, das sich respektlos alter Stoffe (z.B. der Faust-Historie) bedient, und zugleich der rückwärtsgewandten Sehnsucht träumerischer Idealvorstellungen den Spiegel des überall und jederzeit antreffbaren menschlichen Ungeheuers vorhält.

Der Roman ist nicht ohne Grund bisher nie übersetzt worden. Wenn man ihn lediglich als historische Stoffsammlung auf der Folie einer Generationengeschichte liest, bleibt er in der Tat eine literarische Fingerübung, die heutzutage nur noch nebenbei zur Kenntnis genommen werden müßte. Wenn aber das unverkennbar überall durchscheinende Programm romantischer Poesie hier einen seiner Höhepunkte erreicht hat (wofür einiges spricht), ist der Text einer jener Texte, die sich reflektierend schließlich selbst aufheben *wollen* und *müssen*. Die Wende vom 18. zum 19. Jahrhunder war eine Zeit, in der insbesondere die Schriftsteller selbst zu reflektieren begannen: Warum und wozu sollen wir eigentlich schreiben? Der Schriftsteller selbst wurde zur Zentralfigur der Reflexion und nicht zuletzt oft auch zum Protagonisten vieler Texte. Auch in den "Kronenwächtern" wird geschrieben: bewahrend/festhaltend einerseits, doch auch gefährdend und infragestellend andererseits. Das Schreiben (und damit immer auch Über-sich-Hinausgehen) selbst wird zum Thema.

Aus diesem Grund ein lesenswertes Buch zumindest für die, die sich selber als Schreibende sehen und denen gelegentlich in der Spannung von Stoffülle und Formgebung die Frage nach dem Sinn ihres Tuns aufbricht. Enttäuscht dagegen werden all diejenigen von dem Roman sein, die sich Spannung und Kurzweile von einem Buch versprechen.

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